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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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und mit viel Geduld und gutem Zureden zu erobern gewesen, was also, wenn sie in letzter Zeit alles vergessen hatte, was er ihr versprochen und gesagt hatte, um sie verliebt in sich zu machen? Dies waren beunruhigende Vorstellungen, aber auch diese konnte er zu seiner Erleichterung nach einiger Zeit wieder verwerfen. Hatte er denn vergessen, was Marion ihm ausgerichtet hatte? Natürlich liebte Guinievaire ihn noch. Sie hatte ihm durch den treuen Gärtner sagen lassen, dass sie es kaum erwarten konnte bis sie sich endlich wieder sahen, und bis es nun endlich soweit war, brauchte er nur noch ein winziges Bisschen Geduld. Tony ging also noch einmal alle Dinge durch, die er gepackt hatte. Hatte er auch wirklich alles? Ja, beschloss er nach einem prüfenden Blick in seine schwere, ausgebeulte Reisetasche. Sah er gut aus, gut genug für sie? Und wie sie wohl aussah? Vermutlich immer noch so herrlich wie früher: ihre dünne Haut, ihre weichen Lippen und ihre stahlharte Mitte, immer in ein unfassbar festes Korsett verschnürt, so hatte er sie in den vergangenen Monaten bei sich behalten. Niemals hatte er sie ohne eine ihrer harten Korsagen gesehen, geschweige denn berührt, aber sobald er sie heute Nacht bei sich hatte, wollte er auch jegliche Vorsicht in dieser Hinsicht hinter sich lassen, wo sie doch wirklich lange genug gewartet hatten. Immer wieder rief er sich zur Ordnung, wenn seine ungeduldigen Gedanken in diese Richtung drifteten, aber es war aussichtslos, die vielen Stunden, die er mit seiner Verlobten auf seinem Bett verbracht hatte oder hinter dem Heu in den Ställen, tauchten immer wieder in seinem Kopf auf. Wie er ihre eleganten, blauen Adern bewundert hatte oder wie die Stäbe ihrer Korsage sich manchmal schmerzhaft gegen seine Rippen gedrückt hatten, wenn sie fordernd geworden war, und wie sie die Lippen gespitzt und ihr Haar in den Nacken geworfen hatte, wenn sie nicht bekommen hatte, was sie wollte. Und endlich wurde es Zeit. In der Eingangshalle verabschiedete er sich von Vicky und Robert, die mit mehr oder weniger hoffnungsfrohen Gesichtern neben der Türe auf ihn warteten. Das Sprechen bereitete Tony dort, bei ihrem zugleich schmerzlichen und erfreulichen Abschied, extreme Probleme. Nur ein schmales „Auf Wiedersehen,“ brachte er auf Vickys wohlmeinende Glückswünsche hervor, dann hob er etwas seltsam eine Hand und trat hinaus in die Herbstsonne.
    Den kleinen Schlüssel, er überprüfte es noch einmal, zum vermutlich tausendsten Mal, hatte er in seiner Hosentasche verstaut, und der allzu vertraute Weg zum Haus von Guinievaires Tante verschwamm an diesem Tag vor seinen Augen, wie noch niemals zuvor. Er wusste kaum, was er dachte, denn nun dachte er alles, was er sich zuvor furchtbar sorgfältig in seinem Kopf zurecht gelegt hatte, auf einmal, weswegen er keinerlei Zeit oder Möglichkeit hatte, ein letztes Mal die goldenen Felder und die noch immer saftig grünen Bäume zu bewundern. Tony befand sich in einer Art Rausch, in dem er einzig fühlen konnte, wie sein pochendes Herz sein Blut viel zu schnell durch seine schwachen Adern pumpte und schließlich und scheinbar schneller als jemals zuvor war er am Haus angelangt.
    Noch vor den hübschen Toren stieg er dort von seinem Pferd, wo er in einem merkwürdigen Anfall von plötzlicher Aufmerksamkeit tiefe Radspuren im Kies bemerkte, die zur Eingangstüre führte. Zufrieden dachte er, dass sie einzig darauf hindeuten konnten, dass Abigail, wie man es ihm versprochen hatte, das Haus verlassen hatte. Die Türe war offen, stellte er ebenso erfreut fest, denn auf dem Land, vor allem in einer derart isolierten Lage, musste man nicht allzu viel Wert auf Riegel und Schlösser legen, ausgenommen natürlich, man sperrte seine Nichte im hauseigenen Turm ein. Ein sarkastischer Gedanke, fand Tony und nahm sich vor, ihn später noch einmal vor Guinievaire laut zu wiederholen. Als er das hübsche, runde Foyer betrat, in dem ihm Sonnenblumen und eine gelbe Tapete entgegenstrahlten und in dem absolute Ruhe herrschte, ebenfalls wie man es ihm versprochen hatte, konnte er seine Phantasie nicht länger im Zaum halten. Er stellte sich Guinievaire in ihrem kleinen Zimmer vor, wie sie aufgeregt auf ihn wartete. Während er die Treppen erklomm, drei an der Zahl, und durch das stille, helle Haus eilte, den alten Schlüssel fest umklammert, dachte er darüber nach, wie er sie begrüßen und wie er sie abholen wollte. Was würde geschehen, sobald er die Türe aufsperrte? Würde sie

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