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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Barbera
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sich ihm um den Hals werfen und seinen Namen rufen, entzückt darüber, ihn wiederzusehen? Sicherlich sogar würde sie es tun. Aber was sollte dann geschehen? Sollte er sie zuerst küssen? Nun, er wollte es so sehr, aber vielleicht war es sicherer, nahm er einfach wortlos ihre Hand und zog sie nach draußen und sagte ihr erst, dass er sie liebte, wenn sie auf seinem Pferd saßen und gemeinsam flohen. Endlich schritt er durch den letzten, hübschen Flur. Auch dieser war verlassen und Tonys Schritte hallten etwas dumpf von den Wänden wieder, sie musste also hören können, wie er kam. Um keinen Preis durfte er stolpern, selbst wenn seine Füße plötzlich doppelt so groß zu sein schienen. Tony durfte nicht wieder vorschnell werden, er musste sich auf das Jetzt konzentrieren mit absoluter Macht.
    Ihre Tür war leicht zu erkennen, denn ein großes Loch, wie Marion es beschrieben hatte, klaffte knapp über dem Boden. Hier hielt man also seine Verlobte gefangen. Tony hätte traurig den Kopf geschüttelt, wäre dafür Zeit gewesen. Stattdessen zog er mit nassen Händen den rostigen Schlüssel aus seiner Tasche und versenkte ihn nach mehrmaligen, zitternden Anläufen in dem dazugehörigen, rostigen Schloss, wo er hervorragend passte. Tony drehte ihn also eilig und drückte die Klinke, musste jedoch sogleich feststellen, dass noch immer abgesperrt war. Er drehte ihn noch einmal und es war auch weiterhin abgesperrt. Inzwischen etwas verwirrt drehte er ihn zweimal zurück in die andere Richtung, dann versuchte er es ein weiteres Mal und diesmal fand er die Tür endlich offen vor, was jedoch bedeuten musste, dass sie von Anfang an offen gewesen sein musste, was absolut nicht sein konnte. Während er eintrat, tat er dies als dummen Fehler seiner verstörten Gedanken ab und sein Herz schlug bis zum Hals. Dabei sah er sich um in ihrem Zimmer und bemerkte umgehend, dass er leer war.
    Es gab ein breites Bett, das frisch bezogen und gemacht worden war, und es war leer. Auch gab es einen alten Sessel, vermutlich eben jener, in dem Guinievaire so oft gesessen war, und auch dieser war leer. Außerdem waren ihre Koffer nicht hier, stellte Tony fest, der nun mit großen Schritten hinüberging in das angrenzende, winzige Bad und auch hier war nichts, was darauf hindeutete, dass ein Mädchen neun Monate lang in diesem Zimmer gelebt hatte, und es gab keine Spur von Guinievaire. Sie war nicht hier, realisierte Tony dann endlich, wobei er mitten in ihrem ehemaligen Zimmer mit einem Mal steif stehen blieb. Sie war nicht hier und theoretisch konnte sie schon seit zwei Monaten verschwunden sein, seitdem er aufgehört hatte, nach ihr zu sehen. Wie nur hatte ein derart großer Irrtum geschehen können? Wieso nur war er wieder gescheitert? Die Antwort darauf war kurz und sie war ihm plötzlich mehr als offensichtlich: Marion musste Antworten kennen.
    Diesen fand er, mehr oder weniger überraschenderweise, unten im Garten, wo er gegen den Stamm eines langsam bleichen Kirschbaumes lehnte, dessen Äste er offensichtlich geschnitten hatte. Sie lagen ordentlich gesammelt neben dem erschöpften Gärtner, der, auch als er Tony zweifellos kommen hören musste, die fahlen Augen weiterhin geschlossen hielt und die letzten Sonnenstrahlen dieses warmen Tages genoss.
    Tony hatte noch keine Zeit gehabt, seine Gedanken zu ordnen – in seinem Kopf herrschte Chaos, über welches sehr laut eine einzige Emotion tönte: er verspürte Wut auf diesen Mann mit dem gesunden Haar und den kräftigen Oberarmen. „Sie ist nicht hier,“ unterbrach Tony seine eigenen, rasenden Gedanken schließlich, als er vor ihm stand, denn er konnte nur hoffen, dass die tausend Fragen, die in ihm auf dringende Antwort warteten, von dem Gärtner beantwortet werden konnten.
    Marion hob müde und langsam die Lider und sah ihn aus seinen unnatürlich hellen, blauen Augen an, wobei Tony in derselben Sekunde in ihnen einen Ausdruck deutlich bemerkte, den er manchmal in ihnen blitzen hatte sehen können und dem er niemals eine besondere Bedeutung beigemessen hatte. Heute stellte er jedoch erstmals fest, dass es sich um Abscheu handelte. Offenbar hatte er sich schrecklich in diesem Mann getäuscht. „Ich weiß,“ sagte er unberührt und zuckte die Schultern.
    Es war also mit Absicht geschehen und er hatte Tony ausgiebig belogen. Zwei Fragen wurden besonders drängend unter den vielen, die ihm nun durch den nebligen Kopf flogen: Warum hatte er dies getan? Er entschied sich jedoch, zuerst die

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