Ein silbernes Hufeisen
hervorragend ohne dich leben.
Guinievaire
Nun, sie klang wütend, dies war kaum überraschend und dieser Brief war so unfassbar typisch für sie, denn jede einzelne Zeile verriet, wie sehr er sie verletzt hatte, dadurch dass er ihrem Ruf nicht gefolgt war, und dennoch gab sie vor, ohne ihn sei es ihr unendlich viel besser ergangen. Tony schmerzte die Brust, wenn er ihre harschen Worte las, aber dieses Schreiben gab ihm zugleich eines sehr deutlich zu verstehen: Guinievaire liebte ihn noch immer. Dieser Brief war erst vom letzten Monat und immer noch aus Italien. Trotzdem, es konnte durchaus sein, dass sie inzwischen wieder in der Stadt war. Tony konnte sie sehen, er konnte sich vielleicht mit ihr treffen. Was kümmerten ihn die Zucht oder die Anwälte? Guinievaire allein war seine oberste Priorität. Er musste ihr alles erklären, er musste ihr schildern, wie Marion sich gegen sie verschworen hatte und dass es nichts mehr gewesen war als ein schrecklicher Zufall, dass er nicht zu ihr gekommen war und sie geheiratet hatte. Guinievaire musste verstehen, dass ihn keine Schuld traf und dann konnten sie wieder von vorne anfangen. Sie liebte ihn noch, selbst wenn sie es leugnete, und Tony liebte sie noch, egal was er inzwischen über sie herausgefunden hatte. War sie in der Stadt? Hatte irgendwer etwas von ihr gehört in letzter Zeit? Tony musste es sofort wissen, damit er sie so schnell wie möglich sehen konnte. Wo war sie? Vermutlich war sie nach Hastings House zurückgekehrt. Vielleicht sollte er sich sofort auf den Weg dorthin machen, ganz egal ob er dort erwünscht war oder nicht.
„Nelly?“ rief er laut nach seiner Haushälterin durch das ganze Haus. Sie war die letzten Monate hindurch stets hier gewesen und hatte sich um alles gekümmert. Falls Guinievaire also wieder in London war, hatte sie eventuell schon davon gehört. „Nelly!“
Noch in der gleichen Sekunde tauchte die lange, knochige Gestalt der älteren Dame im Türrahmen auf. „Ja, Sir?“ fragte sie in einem etwas säuerlichen Tonfall. Tony, den sie schon als kleinen Jungen gekannt hatte, durfte eigentlich nicht derart streng mit ihr sprechen.
„Nelly, hast du in letzter Zeit etwas von Miss Hastings gehört?“ erkundigte er sich atemlos.
Die Haushälterin dachte kurz nach, dann schüttelte sie den markanten Kopf. „Nein, Sir,“ entgegnete sie nachdenklich. „Ich glaube, sie war schon sehr lange nicht mehr hier in London.“
Tony seufzte enttäuscht. Nun, vielleicht war sie so wie er erst vor kurzer Zeit zurückgekehrt. „Frage doch bitte den Rest des Personals, irgendwer muss doch den neuesten Klatsch kennen,“ bat er Nelly, noch nicht bereit, die Hoffnung schon aufzugeben. Sie nickte und verschwand wieder.
Selbst wenn niemand etwas wissen sollte, Tony musste es versuchen, er beschloss also, sich eilig anzuziehen und sich auf die Suche zu begeben, wobei sein erster Anhaltspunkt Hastings House war. Dort würde er dann so lange gegen die Türe hämmern bis man ihn einließ und ihm endlich Antworten gab, denn nicht noch einmal würde er sich die Chance auf ein glückliches Leben mit dem Mädchen, das er liebte, nehmen lassen. Tony wollte nicht ein drittes Mal einfach aufgeben. Diesmal musste er sie bekommen. Hatte er es nicht verdient? Hatte er sich nicht nach so langer Zeit genug gequält?
Hastig erhob Tony sich und lief die Treppe hinauf in sein Zimmer, wo er sich glücklicherweise bereits Kleidung für den Tag zurecht gelegt hatte. Ob sie dazu geeignet war, Guinievaire wiederzusehen, dies spielte im Augenblick keine Rolle, denn plötzlich musste alles schnell gehen für ihn. Er zog sich aus und wieder an, in einer Geschwindigkeit, die ihn selbst überraschte und erst bei den unzähligen Knöpfen seines Hemdes hatte er Probleme.
Unten in der Eingangshalle klingelte in diesem Augenblick ein Besucher. Leise fluchte Tony, als er kurz lauschte und hören konnte, wie Nelly die Türe öffnete und den Fremden freundlich begrüßte.
Wie hätte sie jemals nach London zurückkehren können ohne die Erlaubnis ihres Vaters? Sie musste ganz einfach in Hastings House sein und sicher wartete sie dort nach wie vor auf den Tag, an dem Tony zurückkehrte, dies hoffte er zumindest inständig. Das Hemd hatte er derweil endlich schließen können und nun waren die Schuhe an der Reihe.
„Ist Mr Anthony Ford zu sprechen?“ meinte Tony von unten hören zu können, wenn auch nur sehr leise. Nein, das war er nicht, dachte er dabei
Weitere Kostenlose Bücher