Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
aufgebraucht, und sie benötigte seine Hilfe. Scheinbar unbeteiligt stand sie da, während er einen Knopf nach dem anderen öffnete und immer mehr sah von dem, was sie darunter trug. Ihr Korsett war hellblau – nicht jungfräulich weiß, wie es Damen fortgeschrittenen Alters bevorzugten. Seine Finger zitterten, und sein Mund sehnte sich danach, ihren schlanken Hals zu berühren. Ging auch durch ihren Körper ein Beben? Er war sich nicht sicher. Doch als er seine Hand auf ihre entblößte Schulter legte, dankte sie ihm und trat zur Seite, statt sich in seine Arme zu werfen, wie er es sich erträumte.
Er begleitete sie zur Anprobe bei der Schneiderin, sah sie in den provisorisch zusammengehefteten Kleidern, die er gekauft hatte. Als Madame Chambord sie aufforderte, hinter dem Paravent hervorzutreten, war er überwältigt, was die richtige Kleidung bewirkte, und der Anblick ihres Busens, der jetzt vollendet zur Geltung kam, weckte ein unstillbares Verlangen in ihm. Er sollte sie lieber in ein Nonnengewand packen, dachte er.
Wenn abends ihr braunes Haar im Licht der Kerzen rotgolden glänzte oder beim Schein der Flammen im Kamin wie Feuer loderte, konnte er den Blick nicht abwenden. Susanna war für ihn die personifizierte Versuchung, und indem er sie nicht aus den Augen ließ, quälte er sich bis an die Grenze des Erträglichen. Bisweilen ergriff er die Flucht, suchte Ablenkung in einer Schänke oder rannte durch die nächtlichen Straßen. Er fühlte sich hilflos und wusste oft nicht weiter, getrieben von dem sehnsüchtigen Wunsch, den Schlüssel zu Susannas Herzen zu finden.
Er war nicht zurückgekehrt, stellte Susanna eines Morgens fest, als sie bei Tagesanbruch angezogen auf ihrem Bett liegend erwachte. Sie hatte auf ihn gewartet, weil sie etwas mit ihm besprechen wollte und weil sie seine Hilfe beim Auskleiden brauchte. Dann war sie eingeschlafen, bevor sie eines der Zimmermädchen zu sich bestellen konnte.
Das Korsett hatte sich unter einem Arm schmerzhaft in ihr Fleisch gebohrt, und ihre Röcke waren ganz zerknittert.
Niedergeschlagen ging sie hinüber in den kleinen Salon, wo er auf dem Sofa zu schlafen pflegte, und betrachtete ein letztes Mal die Aquarelle für Mr Tyler, bevor sie ihm geschickt wurden. Aber sie konnte nur an Leo denken. Bestimmt würde er sie doch nicht still und heimlich verlassen? Oder hatte sie es übertrieben mit ihrer Rache und schadete sich jetzt bloß selbst? Sie rieb sich mit der Faust die Brust, wo der Schmerz zu sitzen schien. Mit einem Mal begriff sie, dass er ihr fehlte. Mit ihm fühlte sie sich lebendig und atemlos, als wäre jeder Moment in seiner Gegenwart etwas Aufregendes und Schönes.
Unfassbar, dass sie einmal gedacht hatte, ein ruhiges, gleichmäßiges und beschauliches Leben an der Seite eines Mannes wie Mr Tyler sei besser für sie. Schließlich war sie ja mit dem Vorsatz nach Bramfield Hall gereist, um etwas zu wagen. Und ein Wagnis stellte Tyler bestimmt nicht dar. Leo schon. Aber damals, richtiger gesagt vor kurzer Zeit, war sie im Grunde ihres Herzens noch zögerlich und feige gewesen. Jetzt wollte sie mutig sein.
Es klopfte. Leo war ihr erster Gedanke, doch der würde nie anklopfen. Sie sackte in sich zusammen und schaute enttäuscht das Dienstmädchen an, das hereinkam. Susanna bat sie, ihr mit dem Kleid zu helfen, tat so, als hätte sie sich plötzlich anders entschieden. Sie wolle noch ein Bad nehmen, bevor sie ausgehe, erklärte sie und bestellte die Wanne und heißes Wasser.
Als sie später in das dampfende Nass tauchte, ließ sie sich in der großen Wanne nach hinten sinken, schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Es gelang ihr nicht, denn ihre Gedanken kreisten allein um ihn. Wo war er bloß. War ihm etwas zugestoßen, war er ausgeraubt worden? Oder hatte er sich in betrunkenem Zustand geprügelt? Susanna machte sich ernstlich Sorgen und fand das ganz normal. Vor ein paar Tagen noch wäre sie vermutlich eher erleichtert gewesen.
Dann öffnete sich plötzlich die Tür, und er stand vor ihr. Roch nach Nebel und Regen, und aus seinen Haaren und von seinen Schultern tropfte das Wasser. Er schien fast so nass zu sein wie sie. Sein Blick umfasste sie, denn ihr Körper wurde von dem seifigen Wasser kaum verhüllt. Sie tat nichts, um sich zu bedecken, legte nur den Kopf zur Seite und wartete.
Er lehnte mit dem Rücken an der Tür. Sie konnte nicht erkennen, was er dachte. Jedenfalls lag kein triumphierendes Grinsen auf seinem Gesicht. »Ich hätte
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