Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
alle anderen Männer vertrieb oder sie, schlimmer noch, ins Gerede brachte?
Doch dann erinnerte sie sich daran, dass sie schließlich ihr Leben ändern wollte. Einschließlich der Bereitschaft, sich auf Risiken einzulassen, sich aus der Sicherheit ihres Zuhauses zu wagen und alles auszukosten, was das Leben in seiner Vielfalt ihr bot. Sie begegnete Leo Wades wissendem Blick und erwiderte ihn mit einem kurzen triumphierenden Aufblitzen in den Augen, ehe sie allen noch einmal zunickte und das Frühstückszimmer verließ.
Der Spaziergang tat ihr gut. Die gepflegten Parkanlagen erstreckten sich über eine leicht hügelige Landschaft mit lauschigen Plätzen, üppigen, prachtvollen Blumenrabatten und Hainen und Rotunden, die römischen Tempeln nachempfunden waren. Sogar ein Labyrinth gab es und einen kleinen See mit einem Sommerhäuschen. Susanna speicherte im Geiste, was sie besonders beeindruckte, und beschloss, dorthin mit den anderen jungen Damen zum Malen zu gehen.
Nach einer Weile erreichte sie das Ende des kunstvoll angelegten Parks, der jetzt in eine naturbelassene Landschaft überging. Sie wanderte einen sanft ansteigenden Hügel hinauf, wobei das hohe Gras bei jedem Schritt gegen ihre Röcke schlug. In der Ferne sah sie Mr und Mrs Randolph, die ihr entgegenkamen, und winkte ihnen zu. Die beiden mussten noch früher als sie aufgestanden sein – und das, obwohl sie bis spät am Abend mit den anderen Gästen zusammengesessen hatten. Schließlich wollten sie ihre Tochter nicht unbeaufsichtigt lassen.
Auf dem Gipfel des Hügels angekommen schirmte sie die Augen gegen die Sonne ab und ließ den Blick bewundernd schweifen. Über die hellen Mauern des imposanten Herrensitzes Bramfield Hall, in dessen hohen Fenstern sich das Licht spiegelte, bis zu den in der Ferne liegenden dunklen Wäldern jenseits des Flusses. Sie hörte gedämpfte Schüsse – offenbar war die Jagdgesellschaft ebenfalls inzwischen unterwegs. Und mittendrin Mr Wade. Susanna überkam ein Gefühl von Ruhe und Frieden. Bislang war alles nach ihren Plänen gelaufen, und mit Leo Wade würde sie schon fertig. Allerdings war er erst gestern angekommen, und ein paar Tage standen ihr noch bevor.
Schließlich kehrte sie zum Herrenhaus zurück und wies die Dienstboten an, ein halbes Dutzend Staffeleien auf der Terrasse aufzubauen. Sie stand im Schatten und spitzte ihre Stifte mit einem kleinen Messer, als Lord Bramfield mit seiner Schwägerin zu ihr trat. Mrs Norton war eine ruhige Frau, die seit dem Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren mit ihrer Tochter praktisch zum Haushalt des Marquess gehörte. Susanna war zu Ohren gekommen, dass sie nichts unternahm, ohne das Einverständnis ihres Schwagers einzuholen.
Susanna begrüßte Lord Bramfield mit einem entspannten Lächeln. Er war ein langjähriger Freund der Familie, der die anatomischen Studien ihres Vaters nicht nur bewunderte, sondern sein Institut an der Universität von Cambridge auch unterstützte. Susanna schätzte ihn, weil er ihren Vater wie seinesgleichen behandelte, also ohne den in der Gesellschaft so verbreiteten aristokratischen Dünkel, und hielt ihn für einen wunderbaren Menschen. Jetzt ließ er den Blick über die Staffeleien gleiten und sah sie liebevoll an. »Wollen Sie malen, Susanna?«, fragte er.
»Ihre Tochter hat mich darum gebeten, während meiner Anwesenheit hier Malunterricht zu geben.«
Lord Bramfield schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. »Sie sind als Gast hier, mein liebes Kind. Da sollte man Sie nicht arbeiten lassen.«
»Aber es macht mir Freude, Mylord, und Lady Caroline weiß das. Sie kennt mich gut genug.«
Mrs Norton lächelte schüchtern. »Sie sind ziemlich talentiert, Miss Leland. Nicht wahr, Mylord?«
Lord Bramfield grinste. »Eine ganze Menge Leute, die was davon verstehen, sind von Ihren künstlerischen Fähigkeiten überzeugt.«
»So viele nun auch wieder nicht«, meinte Susanna bescheiden. »Im Gegensatz zu Ihrer Familie sind die meisten der Ansicht, dass ich mich ungebührlich viel mit meiner Kunst beschäftige. Zu viel für eine wohlerzogene junge Dame.«
Mrs Norton schaute mit nervösem Blick zu ihrem Schwager, weil sie nicht wusste, was sie antworten sollte.
»Ich denke, dass es nur darauf ankommt, ob Ihre Eltern es befürworten«, sagte er entschieden. »Lassen Sie doch die anderen reden.«
»Nun, was meine Eltern betrifft, so ist ›befürworten‹ ein bisschen hoch gegriffen. ›Tolerieren‹ trifft die Sache wohl eher.«
»Unsinn.
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