Ein skandalöses Geheimnis: Roman (German Edition)
So ein Talent, wie Sie es haben, gibt es nur selten.« Er senkte die Stimme. »Und schauen Sie, wie nützlich es für Ihren Vater ist.«
Mrs Norton sah sie beide verwirrt an, doch weil Lord Bramfield seine Worte nicht näher erläuterte, entschied Susanna, es auch nicht zu tun. Die Frau würde es ohnehin nicht verstehen, und wenn es hier die Runde machte, dass sie für ihren Vater anatomische Skizzen anfertigte, würde das bloß ihren Ruf als Blaustrumpf zementieren. Und dass es sich dabei um Gewebe, Muskeln und Knochen von Toten handelte, die ihr Vater seziert hatte, würde erst recht niemand in dieser Gesellschaft billigen. Die jungen Herren schon gar nicht. Für sie wäre sie dann endgültig aus dem Rennen. Wegen solcher Vorbehalte hatte sie auf Wunsch ihres Bruders die Arbeit für ihren Vater vorübergehend eingestellt. Sobald jedoch der passende Ehemann gefunden war, wollte sie ihn davon überzeugen, dass diese Tätigkeit zu wichtig sei, für die Forschung ebenso wie für die Ausbildung künftiger Mediziner, als dass man sie einfach aufgeben durfte.
Sie sah, wie Mrs Norton erstarrte. »Ach, du meine Güte, Mylord, dieser … junge Mann kommt auf uns zu.«
Susanna wusste ohne Hinschauen bereits, von wem die Rede war. Leo Wade schlenderte gerade auf einem Kiesweg heran, das Gewehr unter den Arm geklemmt und in der anderen Hand einen vollen Lederbeutel. Sie verspürte einen Schauer der Erregung und wappnete sich gleichzeitig für ein neues Wortgefecht. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend eilte er die breite Marmortreppe zur Terrasse herauf und wirkte sehr zufrieden.
»Mr Wade«, begrüßte Lord Bramfield ihn und deutete mit dem Kinn auf den prall gefüllten Beutel. »Wie ich sehe, unterstützen Sie unsere Köchin.«
»Ja, Mylord. Es war kaum möglich, sein Ziel zu verfehlen bei der Menge an Vögeln.«
Lord Bramfield nickte und schaute Susanna prüfend an. »Sie beide haben sich gestern Abend ja sehr lange und angeregt unterhalten.«
Susanna wollte gerade erklären, dass sie nur flüchtige Bekannte seien, doch Wade kam ihr zuvor. »Ich konnte mir eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, Mylord. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Miss Leland hier ist. Wenn ich bedenke, dass ich nur durch Zufall in Bramfield Hall Station gemacht habe.« Er lächelte sie verführerisch an und sah dabei umwerfend aus.
»Also wirklich, Mr Wade«, erklärte Susanna und hob beide Hände, »jetzt übertreiben Sie aber bitte nicht.«
»Dann sind Sie also ein Bewunderer von Miss Leland?«, fragte Lord Bramfield.
»Das bin ich«, erwiderte Wade voller Ernst. »Ich habe unter die Hülle geschaut und die Frau gesehen, die sie wirklich ist.«
Susanna errötete und bewunderte zugleich sein raffiniertes, doppeldeutiges Wortspiel.
Falls die Antwort Lord Bramfield überrascht haben sollte, so zeigte er es nicht. Er wandte sich stattdessen an seine Schwägerin: »Dann, meine Liebe, schlage ich vor, dass wir uns zurückziehen, damit die jungen Leute sich unterhalten können.« Er winkte ihnen noch einmal kurz zu und entfernte sich, während sich Mrs Norton voller Hingabe an seinen Arm klammerte.
Susanna trat an die Balustrade und blickte den beiden nach, wie sie die Treppe zum Garten hinunterstiegen.
»Wollen wir allein sein?«, fragte Leo Wade leise, als er zu ihr trat.
»Nein, aber sie dachten, dass wir es gerne wären«, meinte Susanna nachdenklich. »Das haben Sie wirklich gut eingefädelt.«
Er lachte verhalten, während sie sich wieder ihren Stiften zuwandte.
»Sie müssen doch bestimmt Ihre Beute in der Küche abliefern«, sagte sie.
Er rief einen Bediensteten, der an der Salontür stand, zu sich. Der Mann, der eine gepuderte Perücke und eine elegante Livree mit Kniehosen trug, nahm den Beutel mit spitzen Fingern entgegen und ging davon.
»Ich würde nicht durchs Haus damit gehen, guter Mann«, rief Wade ihm hinterher. »Es könnte Blut heraustropfen.«
Der Lakai verzog das Gesicht, verbeugte sich steif und eilte jetzt über die Gartentreppe davon.
»Sie hätten Ihre Jagdbeute auch selbst wegbringen können«, meinte Susanna. »Ich bin außerdem im Moment viel zu beschäftigt, um meine Zeit mit Ihnen zu vertrödeln.«
»Deshalb haben Sie mich also heute Morgen mit auf die Jagd geschickt.«
»Das können Sie mir nicht vorwerfen – und überdies war es ein Gebot der Höflichkeit Ihrem Gastgeber gegenüber, den Sie schamlos ausnutzen.«
»Ich glaube nicht, dass er dieses Gefühl hat.«
»Als Schwiegersohn will er Sie
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