Ein skandalöses Rendezvous (German Edition)
immer verschlossen hätte.
Doch nun machte dieser Mann, der ihrem Vater quasi den Strick gedreht hatte, an dem er sich schließlich aufgehängt hatte, diesen kleinen Versuch, sie zu trösten. Eigentlich sollte sie seine Berührung abschütteln und die Bemühung ignorieren. Sie sollte ihm sagen, er wäre die letzte Person auf der Welt, von der sie Mitleid empfangen wollte.
Stattdessen konnte sie sich einen Moment lang nicht bewegen. Sie schloss die Augen und akzeptierte die Menschlichkeit seines Mitgefühls, das wie warmes Wasser in ihren Körper floss. Sie ließ es ihr Herz berühren und ihren inneren Aufruhr besänftigen. Sie ignorierte den eigenartigen Ursprung der Trostquelle, weil sie so verzweifelt Linderung brauchte.
Er hob ihre Hand und zog ihr den blutigen Stoff aus der Hand. Dann nahm er sich ein frisches Tuch. »Helfen Sie mir, das zu verbinden, damit ich mich für unseren Gast anziehen kann.«
Mit zitternden Händen band sie das Tuch um seinen Arm, während er es fixierte.
Dann erhob er sich. Plötzlich war seine nackte Brust direkt vor ihrem Gesicht. Die unerwartete Nähe seines Oberkörpers, die Beschaffenheit seiner Haut und die Art, wie der Schein des Kaminfeuers seine kräftigen Muskeln mit tiefen Schatten betonte, machten sie einen Augenblick ganz benommen.
Sie zwang sich, aufzusehen und ertappte ihn dabei, wie er ihre Musterung seines Körpers beobachtete. Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Sie wich zurück und drehte sich weg von ihm, damit er ihre Verlegenheit nicht bemerkte.
Es hatte nichts Kritisches in seinem Blick gelegen, auch nichts Anzügliches. Sein Ausdruck war weitaus schockierender gewesen.
Sie hatte seine Faszination gesehen und eine stumme Bestätigung eines gemeinsamen Geheimnisses. Ebenso Selbstvertrauen, als ob er genau wusste, dass er schön anzusehen war. Aber auch Neugier, als ob ihr Interesse an ihm weniger vorhersehbar als das anderer Frauen vor ihr sei.
Sie hörte, wie er sich anzog, dann wurde der Stuhl wieder bewegt.
»Miss Kelmsleigh.«
Sie zwang sich, ihn anzusehen. Er schien nun wieder ganz angemessen gekleidet. Nun war er nicht nur von seinem Hemd und der Weste bedeckt, sondern er trug auch den dunkelgrauen Reitermantel, den er anfangs abgelegt hatte. Sein Halstuch war angesichts der Schmerzen, die es ihm verursacht haben musste, den Arm zu bewegen, recht gut gebunden.
»Miss Kelmsleigh, es tut mir sehr leid, dass Ihr Vater tot ist. Ich bedauere Ihren Kummer und ich bedauere, dass meine Suche nach der Wahrheit Ihre Familie verletzt hat. Doch entweder heute Abend oder morgen Früh wird der örtliche Friedensrichter einige unangenehme Fragen stellen. Ich muss Sie darum bitten, mir zu vertrauen und mir zu gestatten, für uns beide zu antworten.«
Seine Erwähnung des Todes ihres Vaters entflammte erneut die Wut, die sie überhaupt erst veranlasst hatte, diese unglückliche Reise anzutreten. Sie war für Summerhays Trost dankbar, doch er veränderte nichts.
»Sie haben meinen Vater bis ins Grab gejagt, Lord Sebastian. Sie und die anderen Regierungsbeamten, die nicht von dieser Geschichte mit dem Schießpulver aufhören konnten. Sie wollten keine andere Erklärung akzeptieren und bestanden darauf, dass das Munitionsamt einen Sündenbock liefert, den Sie öffentlich an den Pranger stellen konnten. Es wäre töricht, Ihnen zu vertrauen.«
»Ihre Sichtweise ist verständlich. Doch ich bin der einzige Schutz, den Sie in dieser Angelegenheit haben. Mein Wort als Ehrenmann, der Titel meines Bruders und meine Position in der Regierung könnten Sie retten.«
»Mich retten? Sobald bekannt wird, dass wir beide hier allein waren, wird der Skandal untrennbar mit mir verbunden sein, ganz egal, wer Sie sein mögen. Im Gegenteil, Ihre Position wird mich noch verrufener wirken lassen.«
»Diese Art von Skandal sollte die geringste Ihrer Sorgen sein. Genau genommen wäre es sogar das Beste, wenn der Magistrat das hier als Streit unter Liebenden einstuft. Denn wenn er herausfindet, dass Sie Horatio Kelmsleighs Tochter sind, wird er denken, dass Sie mich herbestellt haben, um den Tod Ihres Vaters zu rächen und mich umzubringen.«
Am liebsten hätte sie über seine dramatische Prognose laut gelacht. Dann erkannte sie, wie die Sache in den Augen des Wirtes ausgesehen haben musste. Lord Sebastian hatte recht. Ihre Identität würde die Ereignisse dieses Abends in ein anderes und viel schlimmeres Licht werfen.
Der Gedanke verursachte ihr Übelkeit. Sie hätte niemals
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