Ein Sommer mit Danica
über.
»Serge war auch letzten Sonntag hier. Da lagen Sie noch in tiefer Bewußtlosigkeit. Danica hat ihn an Ihr Bett geführt, sie hatte da bereits zwei Tage und Nächte bei Ihnen gewacht, und der gute Junge setzte sich neben Sie, löste Danica ab, wischte Ihnen den Schweiß von der Stirn, wusch Sie von oben bis unten.«
»Verlangen Sie, daß ich zu heulen anfange, Vicivic?«
»Nein. Sie sollen nachdenken. Und Sie sollen mit Serge rechnen. Morgen ist wieder Sonntag –«
»Danke. Ich lebe ohne Kalender.« Corell atmete tief durch. Der Druck in seiner Brust wurde unerträglich. Ihm wurde wieder bewußt, wie sinnlos seine Umkehr zum Leben war, wie kompliziert wieder alles wurde und daß es besser war, den alten Weg weiterzugehen … nach Pula, ins Ende. Er liebte Danica, und es war eine Liebe, deren Zauber nicht mehr meßbar war … aber er war nicht mehr bereit, zu kämpfen. Bei Robic, dem Vater, war es noch eine Art Selbstverteidigung gewesen … bei Serge Dobroz, dem netten Burschen aus Isola, artete es zur Gemeinheit aus.
»Ich werde gehen«, sagte er mit rauher Stimme. »Für Danica wird es ein Schock sein, aber sie kommt darüber hinweg.«
Vicivic ging zur Tür. »Es wäre gut, wenn Sie Sonntagmorgen schon weit weg von Piran sind, Dr. Corell. Was sagen Sie dazu, Petar?«
»Scher dich zum Teufel!« knurrte Robic. »Der Gestank der Salbe bringt mich um!«
Er wartete, bis Vicivic gegangen war. Stana brachte ihn bis an die Haustür, die Pistole noch immer in der Hand. Diese kurzen Sekunden des Alleinseins waren sehr wichtig.
»Serge wird Danica anspucken, wenn er alles erfährt«, sagte Robic. »Ich weiß es genau … er hat Danica bisher noch nicht berührt.«
»Ich weiß es auch.« Corell kam sich elend vor.
»Bis gestern war meine Tochter ein Kind«, sagte Robic dumpf.
»Ich werde Danica heiraten, Petar –«
»Wollt ihr zusammen euren Verstand versaufen?«
»Ich rühre ab sofort kein Glas mehr an. Ich fahre nächste Woche nach Frankfurt zurück, miste meine Praxis aus und beginne von vorn! Ob du's glaubst oder nicht, Petar … ich war einmal ein guter Arzt. Ich hatte im Westend die größte Praxis. Man kann mit Fünfzig noch einmal von vorn beginnen. Ich kann es, Petar.«
»Wenn du siebzig bist, ist Danica noch immer jünger, als du jetzt bist.«
»Aber sie wird glücklich sein, das verspreche ich dir.«
»Glaubst du?« Robic starrte Corell an. Man hatte sein Gesicht gewaschen, aber in den Augenwinkeln klebte noch Blut. Er sah jetzt unendlich traurig aus, ein Mensch, der etwas Unersetzbares verloren hat. »Ich hätte das nie von Danica gedacht. Nie! Wie kann eine Tochter einen Vater so verraten?«
»Für jeden von uns kommt einmal der Moment, wo er nichts mehr versteht. Ich habe diesen Moment mehrmals gehabt. Genau viermal …«
»Beim Tod von Hilde, Christian und Monika …«
»Danica hat dir davon erzählt?«
»Sie erzählt mir alles. Sie spricht überhaupt nur noch von dir.« Robic stand auf, sein Schädel begann jetzt zu brummen und zu stechen. »Und das viertemal?«
»In dieser Nacht.«
Robic winkte ab, wollte etwas sagen, aber da kam Stana zurück. Der Griff der Pistole ragte zwischen ihren Brüsten hervor, es war der einzige Platz, wo sie die Waffe ablegen konnte. Es sah nicht grotesk aus, sondern erschütternd tragisch. Robic trat die Küchentür auf.
»Das Frühstück, Danica!« brüllte er. »Zum Teufel, der Laden müßte längst offen sein! Um neun kommt ein Bus aus Ljubljana. Schweizer Touristen. Das Frühstück!«
Von der Mole dröhnte die Sirene eines Ausflugsschiffes. Ein ganz normaler Tag begann.
5
Am Sonntagmorgen bremste Serge Dobroz sein Motorrad vor Robics Haus und stellte den knatternden Motor ab. Einen bunten Schal hatte er sich um den Hals gebunden, das Hemd war über der breiten, braunen Brust offen, ein goldenes Medaillon an einem Goldkettchen blinkte in der Sonne. Robic, der am Fenster saß, schlug die Fäuste zusammen und sagte laut: »Jetzt geht es los!«
Er hatte darauf gewartet und Stana in den Laden geschickt. Am Sonntag wurde in der Hotelwäscherei nicht gewaschen. Sie hatte sich zwar geweigert, in den Laden zu gehen, es war eine Stunde lang zu einem großen Geschrei gekommen, aber schließlich gelang es Robic, Stana davon zu überzeugen, daß so ein besonderer Sonntagmorgen zwischen Männern ausgetragen werden muß und Weiber da nur stören. Robic hatte überhaupt eine schlimme Nacht hinter sich. Er hatte Danica in ihr Zimmer eingesperrt, als alles
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