Ein Sommer mit Danica
ausführen.«
»Man kann es anscheinend doch. Wir Deutsche hatten schon immer ein überragendes Talent zur Organisation.« Dr. Corell machte einen zaghaften Schritt nach vorn zum Höhleneingang. Er kam sich nicht wie der Sieger, sondern wie der Besiegte vor. »Warum haben Sie die Hände so dick umwickelt? Sind Sie verletzt?« fragte er und blieb vor Clara Soffkov stehen.
Sie hob die Hände in den dicken Strümpfen aus Schafwolle und starrte ihn über diese unförmig gewordenen Wülste an.
»Es ist mein einziges Kapital, das ich noch besitze. Alles, was mir geblieben ist, womit ich nach dem Krieg wieder anfangen könnte. Wenn den Händen etwas geschieht, kann der übrige Leib ruhig sterben … er hat dann keine Existenzberechtigung mehr. Ich bin Pianistin …«
»Pianistin –«, wiederholte Dr. Corell. Er griff nach den umwickelten Händen und umfaßte sie. »Ein Jahr vor dem Abitur stand ich vor dem Entschluß, Pianist oder Arzt zu werden. Ich spielte das Klavierkonzert Nr. 1 von Beethoven und die beiden ersten Lisztkonzerte auswendig. Ich kann sie noch heute. Aber dann studierte ich doch Medizin. Deutschland brauchte Ärzte dringender als Pianisten.«
»Also doch ein strammer Deutscher«, sagte Clara Soffkov bitter.
»Wenn Sie es so sehen … ja. Unsere Generation ist aufgesaugt worden.«
»Und wenn man den Schwamm ausdrückt, kommt eine einheitliche braune Brühe heraus.«
»So ungefähr.« Dr. Corell kam der Höhle noch einmal um zwei Schritte näher. Clara Soffkov folgte ihm, der Junge mit der Maschinenpistole bekam weite Augen. Soll ich nun schießen?, konnte man deutlich in seinem kindlich-erwachsenen Blick lesen. Was soll ich tun, Tante Soffkov?
»Wir sind jung, unser Vorbild sind die Älteren, die Väter, Großväter, Onkel, weiß Gott, wer noch. Man hat immer Vorbilder. Ich sah zu meinem Vater auf … er ist als Hauptmann bereits in Polen gefallen. Und man rennt diesen Vorbildern nach, auch wenn sie falsch sind. Man merkt es immer erst zu spät. Aber ich glaube, das geht jeder Jugend so, und darauf spekulieren die Politiker.« Er zeigte auf den Feuerschein. »Darf ich in die Höhle?«
»Gehen Sie. Die anderen Frauen sind keine Juden. Sie sind geflüchtet, nachdem man ihre Männer als Geiseln erschossen hat. Für jeden toten deutschen Soldaten zehn Jugoslawen. Seid ihr Deutschen so viel wert?«
»Ich habe den Befehl nicht gegeben, Clara Soffkov.«
»Natürlich nicht. Aber ihr führt die Befehle aus.« Sie folgte ihm und erreichte ihn, als er den Eingang der Höhle betrat. Er war so hoch, daß er sich nicht zu bücken brauchte. »Wie heißen Sie?«
»Alexander Corell«, sagte er und blieb stehen. Die Frauen und Kinder an der Felswand krochen noch mehr zusammen. Todesangst schrie aus ihren Blicken … es war ein Klumpen Mensch aus aufgerissenen Augen und verzerrten Mündern. »Sagen Sie ihnen, daß ich als Freund komme …«
»Das wäre unglaubhaft. Ich werde ihnen sagen, daß Sie ihnen nichts tun.« Sie sprach ein paar Worte auf serbo-kroatisch, und sofort entkrampften sich die Münder, aber der Ausdruck von Angst und Verzweiflung blieb in den Augen. »Alexander Corell, ein merkwürdiger Name.« Clara Soffkov zeigte auf eine Bank, die aus drei Steinklötzen und einem dicken Balken bestand. Corell setzte sich, zog die Felljacke aus und schämte sich plötzlich, daß er darunter den deutschen Uniformrock trug. Er knüpfte auch ihn auf und warf ihn hinter sich. In Hemdsärmeln und Hosenträger, lächerlich und zugleich doch vertrauenerweckend aussehend, beugte er sich vor und hielt die Hände flach gegen die ausstrahlende Hitze des offenen Feuers. Clara Soffkov setzte sich neben ihn und wickelte ihre kostbaren Hände aus der Schafwolle. Schlanke, lange Finger. Zerbrechliche Fingerknochen, überspannt mit einer weißen Haut. Finger, in denen Chopin und Mozart, Schumann und Schubert lebten … er sah es an jeder Bewegung der deutlich hervortretenden Gelenke. Clara Soffkov bewegte die Finger, als spiele sie einen langen Triller und hielt die Hände dann auch gegen die Hitze.
»Was wollen Sie tun?« fragte Corell. Der Junge mit der MPi kam in die Höhle, stellte sich an den Eingang und zielte weiter auf Corell. Ob er begriff, daß Corell jetzt ein Gefangener war, oder ob es immer noch Selbstschutz war, diese Größe der Verzweiflung, die aus Kindern Männer macht? »Wollen Sie in dieser Höhle den Krieg überleben? Das ist unmöglich. Einmal wird Sie eine deutsche Patrouille finden, und sei es durch
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