Ein Sommer mit Danica
Zufall wie bei mir.«
»Ich weiß es, Dr. Corell. Ich warte hier nur auf eine Gelegenheit. Glauben Sie nur nicht, daß wir hier verlassen und verloren sind. Ich habe die Möglichkeit, nach Amerika zu kommen. Ich brauche nur ein Boot, um weit genug hinaus in die Adria gebracht zu werden. Dort wird mich ein U-Boot aufnehmen.«
»Ein U-Boot? Unmöglich.«
»Ein amerikanisches U-Boot. Seit vier Tagen stehen die Partisanen um ihren Anführer Stavro Urbanic in Funkkontakt mit dem Kommandanten. Natürlich ist es verboten, Zivilpersonen an Bord zu nehmen, eine Frau schon gar nicht, ein U-Boot ist zum Vernichten da, nicht zum Retten. Ich weiß nicht, wer den Befehl gegeben hat: Aber ich kann aufgenommen werden, wenn es mir gelingt, innerhalb der nächsten vier Tage aufs Meer hinauszukommen. So einfach ist das. Man kann weiterleben, – man braucht nur ein Boot, das Glück, nicht gesehen zu werden, unbehelligt abzustoßen, die Kraft, zu rudern, stundenlang zu rudern … so einfach ist das. Und so unausführbar. Trotzdem warte ich hier. Der Mensch kann sich noch so hoch entwickeln, er wird immer an Wunder glauben. Ich warte auf dieses Wunder.«
»Ich habe ein Boot –«, sagte Corell in den Flammenschein hinein. Er sah, wie Clara Soffkovs Finger, die sich neben seinen Händen am Feuer wärmten, zusammenzuckten.
»Ein schwimmendes Lazarett –«
»Nein; ein Boot aus Holz mit einem Außenbordmotor. Es gehört auch nicht mir, sondern meinem Stabsarzt Dr. Weber. Es liegt in einer kleinen Felsenbucht zwischen Rabac und Koromacno. Dr. Weber benutzt es manchmal sonntags, um zu fischen. Er ist ein großer Angler, der die schlauesten Fische überlistet. Doch wenn er sie aus dem Meer gezogen hat, sagt er zu ihnen: ›1 : 0 für mich!‹, löst sie vorsichtig von der Angel und wirft sie ins Wasser zurück.« Dr. Corell lehnte sich zurück. Die Felswand hinter ihm war warm, sie warf die Hitze des offenen Feuers zurück und speicherte sie gleichzeitig. »Das wäre ein Boot, um die Stelle in der Adria zu erreichen, an der das amerikanische U-Boot liegt.«
Clara Soffkov zog die Hände zurück und legte sie in den Schoß. Ihre großen blauen Augen waren wie ein Spiegel ihrer Seele. Corell sah in ihnen ihr Herz, und dieses Herz zuckte wild in nicht mehr zu bändigender Hoffnung. »Sie geben mir dieses Boot, Sascha …?« Es war das erstemal, daß jemand zu Dr. Corell Sascha sagte. Er nickte stumm. »Warum?« fragte sie.
»Weil ich Chopin und Beethoven liebe –«, sagte Corell rauh. »Nur darum.«
»Natürlich, nur darum.« Clara Soffkov lächelte. Es war ein verinnerlichtes, wissendes Lächeln. Ich könnte seine Mutter sein, dachte sie. Ohne Schwierigkeiten könnte ich es sein. Ich bin jetzt zweiundfünfzig, und er wird nicht älter sein als fünfundzwanzig. Wenn er sie überhaupt ist … seine Augen sind noch die eines Kindes. Nur seine Zeit hat ihn einige Entwicklungsphasen überspringen lassen. Heute noch ein Junge mit Träumen der Zukunft, mußte er am nächsten Morgen plötzlich ein standfester Mann der Gegenwart sein. Vom ›herrlichen‹ Heldentod singen, bevor man überhaupt gelebt hat … von einem Tod, der an Sinnlosigkeit und Dreckigkeit nicht zu übertreffen ist.
»Aber wie komme ich zu dem Boot, Dr. Corell?«
Corell blickte hinüber zu den anderen Frauen. Sie hatten die letzte Angst verloren. Die junge Mutter gab ihrem Kind die Brust, die beiden anderen Frauen holten unter den Decken Töpfe hervor und begannen zu essen. Anscheinend hatte sein Erscheinen sie gerade beim Nachtmahl gestört. Der Junge legte die Maschinenpistole vor sich auf den Felsboden, fing ein Stück Brot auf, das ihm eine Frau, vielleicht seine Mutter, zuwarf und kaute mit vollen Backen. Jetzt war er wieder das zehnjährige Kind, das nichts hatte als Hunger. Corell atmete tief auf.
»Ich bringe Sie in der Nacht zur Küste«, sagte er.
»Durch die deutschen Truppen?«
»Ja. Wenn Sie mir vertrauen und mir zeigen, wie ich zur Straße komme, bin ich übermorgen wieder hier und bringe Ihnen eine deutsche Schwesterntracht mit. Ein Militärarzt in Begleitung einer Schwester – damit passieren wir alle Kontrollen, ohne gefragt zu werden. Dann warten wir an der Küste in der Nähe des Bootes die nächste Nacht ab, und dann fahren Sie los.«
»Das klingt so einfach, als wolle man ein Brot kaufen …« Clara Soffkov blickte hinüber zu den Frauen. »Und sie da …«
»Ich kann nicht vier ›Krankenschwestern‹ und sechs Kinder mitschleppen. Das ist
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