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Ein Sommer mit Danica

Ein Sommer mit Danica

Titel: Ein Sommer mit Danica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte sich gesetzt und hielt den langen Griff des Außenbordmotors umklammert. »Leben Sie wohl, Clara!« rief Corell. »Und die Passage im f-moll-Konzert … sie war gut! Sie hätten weiterspielen sollen. Es war nichts mißlungen …«
    »Danke, Sascha …«
    Sie lächelte zu ihm hoch, wollte noch etwas sagen, aber Corell ließ das Boot los und gab ihm einen Tritt. Schnell glitt es hinaus aufs Meer, die Motorschraube begann, sich zu drehen, Clara Soffkov hatte an dem Gasgriff gedreht. »Sascha!« hörte er sie rufen. »Sascha! Auf Wiedersehen!« Die Dunkelheit hatte sie schon aufgesaugt, nur das Motorengebrumm und ihre Stimme waren noch da.
    »Auf Wiedersehen, Clara!«
    Er hob die Hand. Die Finsternis war vollkommen, das Meer, der Himmel, alles vor ihm war wie eine schwarze Wand. Trotzdem winkte er und wartete, bis sich das Geräusch des Motors immer schneller entfernte und schließlich nur noch ein weggleitender summender Ton war. Da erst ging er zurück, setzte sich neben das Motorrad auf die Steine und kam sich merkwürdig leer vor.
    Am nächsten Tag hörte er, daß ein Patrouillenboot ein Fischerboot beschossen hatte, welches jedoch in der Dunkelheit entkam.
    Zwei Tage später lernte er in der römischen Arena von Pula die Schwesternhelferin Hilde kennen. Seine spätere Frau. Vor 28 Jahren …

19
    Die alte, weißhaarige, blinde Frau hatte sich auf den Klavierstuhl gesetzt und hielt noch immer Dr. Corells Hand fest. Die Männer um sie herum, ihr Manager, der Konzertagent, die Aufseher der Arena blickten verlegen zur Seite, steckten sich Zigaretten an, gingen weg und ließen Clara Soffkov, Corell und Danica allein. Was hier geschah, begriffen sie nicht, nur soviel war klar, daß Clara Soffkov eben einem Deutschen um den Hals gefallen war und geweint hatte. Das war nach allem, was man von der Soffkov wußte, so einmalig, daß im Augenblick keinerlei Erklärungen möglich waren. »Wo bist du jetzt?« sagte Clara Soffkov. »Komm her, Sascha, setz dich neben mich …« Sie zog ihn an der Hand auf den anderen Stuhl, beugte sich vor und tastete sein Gesicht ab. Ihre noch immer schönen, schlanken Finger glitten über sein Gesicht, die Fingerkuppen versanken in den Runzeln und Falten, die das Leben in sein Gesicht gekerbt hatte, tasteten über Haare, Stirn, Nase, Wangen, Kinn und Hals und streichelten dann seine linke Wange. Dabei sah sie ihn aus ihren blinden Augen an und lächelte. Die Tränen rannen ihr in die Mundwinkel, und Corell wagte nicht, sie abzuputzen. Es war die heiligste Minute in seinem Leben … jene Minute, die ein Mensch nur einmal erlebt.
    »Du bist alt geworden, Sascha …«, sagte sie leise. »Wir alle sind alt geworden. Mein Gott, wie jung warst du damals. Ein Milchgesicht. Und jetzt hast du tiefe Falten. War es ein schweres Leben, Sascha?«
    »Nein, nur die letzten Jahre.« Corell biß sich auf die Lippen. Er hielt ganz still, als sie ihn wieder abtastete und ihre schlanken Greisenfinger auf seinen Augen liegenblieben. »Da war es ein wildes Leben, Clara.«
    »Du hast dich doch nicht aufgegeben, Sascha?«
    »Vollkommen, Clara.«
    »Ich spüre es an deinen Augen. Bist du verrückt, Sascha? Ein Mann wie du gibt auf? Ich kann nicht sehen, wie die Welt ist, ich höre es nur … und sie ist nicht besser geworden, der Mensch hat nichts gelernt, aber das hat er noch nie gekonnt, aus seinen Fehlern herauszuwachsen. Bist du noch immer Arzt?«
    »Ja.«
    »Und ich sitze noch immer hinter meinen Tasten. Ich versuche, die Menschen glücklich zu machen, indem ich spiele … du arbeitest an den Menschen, indem du sie von ihren Krankheiten befreist. Mein Gott, ist das nicht schön? Hat uns Gott nicht auserwählt? Und du, gerade du willst Gott in den Hintern treten? Guck nicht so entsetzt, ich spüre es … eine alte Frau wie ich darf so reden.« Sie ließ die Hand von Corells Gesicht fallen und drehte den Kopf etwas zur Seite, dorthin, wo Danica stand. Sie zuckte zusammen, als die toten Augen sie ansahen. »War da nicht eine Frau?« fragte Clara Soffkov. »Eine Frau war doch eben bei dir. Ich habe ihre Stimme gehört. Sie zankte sich mit Ivonic wie ein Marktweib. Ja, sie hat's ihm gegeben! Als wenn man mit nassen Handtüchern um sich schlägt! Deine Frau?«
    »Nein …«, sagte Corell mit belegter Stimme.
    »Dein Mädchen, deine Geliebte, deine ständige Begleiterin, dein Ferienflirt, oder wie man das nennt? Was ist sie? Hast du keine Frau?«
    »Meine Frau und meine Kinder sind tot …«
    Clara Soffkov schwieg.

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