Ein Sommer mit Danica
Sie starrte Danica mit ihren glänzenden Augen an, und als sie plötzlich weitersprach, zuckte Danica zusammen.
»Sie ist hübsch! Komm her, Mädchen. Du hast das Herz einer Löwin. Ich will dich sehen … ganz nah heran … ich kann dich mit meinen Händen sehen …«
Danica beugte sich vor. Wie ein Hauch glitten Clara Soffkovs Finger über ihr Gesicht und umfaßten es dann mit beiden Händen.
»Hör mich an –«, sagte sie. »Bleib bei ihm. Laß ihn nie allein. Er ist ein guter Mensch, der Sascha. Er braucht viel Liebe, Töchterchen …«
»Ich werde ihn nie verlassen«, sagte Danica mit trockener Stimme. »Nie. Das schwöre ich.«
»Damals hat er einer Frau das Leben gerettet, – laß es dir von ihm erzählen. Jetzt bin ich alt und blind, ich kann nicht viel für ihn tun. Aber du kannst es, Töchterchen. Gib ihm das, wozu ich zu alt geworden bin: Liebe, ein Zuhause, einen Sinn in diesem Leben. Ist er wirklich am Ende, Töchterchen? Mein Gott, warum muß ich blind sein?!«
»Ja, er ist am Ende.« Danica küßte Clara Soffkovs Hände, und es war die uralte demütige Liebe und Dankbarkeit der balkanischen Bäuerinnen.
»Ein Mann wie Sascha ist nie völlig am Ende«, sagte Clara Soffkov.
»Tiefer geht es nicht mehr.« Dr. Corell blickte auf den großen schwarzen Konzertflügel. »Was macht Ihre gemalte Klaviatur, Clara?«
»Sie hängt in Belgrad im Wohnzimmer meines Hauses in einem Goldrahmen an der Wand. Gut, daß du mich daran erinnerst: Auch du hast deine Klaviatur, auf der du dich wieder ms Leben hineinspielen kannst. Da steht sie.« Sie zeigte auf Danica.
Corell schüttelte den Kopf. »Meine Finger sind steif, lahm und knotig geworden. Ich tauge nur noch zu einem Clown.«
»Dann sei einer! Ein guter Clown ist ein Genie! Töchterchen, wie heißt du?«
»Danica Robic …«, sagte Danica. Ihr Herz schlug bis zum Hals.
»Danica.« Clara Soffkov streckte die Hände nach ihr aus, und Danica ergriff sie. »Wir Juden waren groß im Verfluchen, und ich verfluche dich, wie Gott einmal Moses verflucht hat, wenn du Sascha nicht liebst.« Sie zog die Hände aus Danicas Griff und wandte den Kopf zu Corell. »Du sitzt heute abend in der ersten Reihe, Sascha! Ich lasse das Programm ändern. Ich spiele das f-moll-Konzert von Chopin. Und wenn das Orchester Zeter und Mordio schreit wegen der Proben … ich spiele es! Sascha, ich kann die Passage noch immer … Du wirst es mir nach dem Konzert sagen, wenn wir essen gehen … Sascha …?«
»Ja, Clara?« Corell trat nahe vor sie hin. Sie tastete nach seinem Gesicht, und er hielt es ihr hin. »Liebst du Danica?«
»Mehr, als ich will und darf.«
»Dann bist du gerettet.«
»Nein. Ich bin ein total versoffener Hund …«
»Was macht's?« Clara Soffkov lächelte. Ihr feines Greisinnengesicht schien sich zu verjüngen unter diesem Lächeln. »Sascha, ich habe auch einmal gesoffen … die anderen haben's nur nicht gemerkt. Selbst damals in der Höhle hatte ich Schnaps unterm Strohsack. O Gott, Sascha … das Leben ist so einfach, nur die Menschen machen es so kompliziert.« Sie winkte mit der rechten Hand, und ihre Stimme hob sich. »Weg jetzt. Ich muß üben! Runter vom Podium. Ivonic?«
Der Mann, der Corell angegriffen hatte, kam sofort zum Flügel. Finster sah er Corell an.
»Beim Konzert sitzen Sascha und Danica ganz vorn. Ganz vorn, hörst du. Betrüge mich nicht, – ich werde sie ansprechen, bevor ich anfange.«
Sie wandte sich dem Flügel zu, drehte die Finger, ließ sie durch die heiße Luft flattern und übte dann weiter die schwierigen Stellen … Triller, Läufe, Übergriffe, gehauchte Vorschläge, Kadenzen …
Ivonic zeigte auf das Seil. Corell verstand, faßte Danica unter und verließ das Podium. Jenseits der Absperrung blickte er noch einmal zurück. Wie eine kleine, zerbrechliche Götterstatue saß Clara Soffkov unter dem Sonnendach. Auf ihren weißen Haaren lag ein goldener Schimmer …
*
Während Corell und Danica an diesem Abend in der römischen Arena von Pula vorn in der ersten Reihe saßen und dem Klavierspiel von Clara Soffkov lauschten, waren in Piran der alte Robic, der Milizionär Duschan Dravic, der Arzt Dr. Vicivic und Serge Dobroz im Zimmer der Robics versammelt. Serge war mit seinem Motorrad sofort von Isola herübergekommen, als Petar Robic ihn in der Konservenfabrik angerufen hatte.
»Gute Nachricht, Freunde«, dröhnte der alte Robic. Er verteilte Zigaretten, füllte die Gläser randvoll mit Malvazija, einem köstlichen
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