Ein Sommer mit Danica
von ihm auf, nur ein Schatten, unförmig, als er näher kam, ein fremdes Wesen unter einer Decke mit umwickelten Armen, als seien es nur noch Stümpfe. Unter der linken Achsel hatte Clara Soffkov einen langen Gegenstand geklemmt. Corell erkannte ihn sofort.
»Sie nehmen Ihre gemalte Klaviatur mit?« fragte er heiser.
»Es ist alles, was ich habe. Ich muß doch auch auf dem U-Boot üben …« Sie umarmte ihn, küßte ihn links und rechts auf die Wange, und dann stiegen sie hinunter zur Straße. Neben dem Motorrad blieben sie stehen.
»Wie viele beobachten uns?« fragte Corell, ohne sich umzudrehen.
»Ein Trupp von vierzehn Mann.« Sie warf die Decke von sich. »Ich hätte nicht gedacht, daß Sie kommen, Sascha.«
»Ich hatte es Ihnen versprochen.«
»Was sind heute noch Versprechungen? Haben Sie die Schwesterntracht mitbringen können?«
»Ja.« Er öffnete die Packtasche. »Alles.«
»Ich ziehe mich gleich um.«
Ohne sich zu zieren, zog sich Clara Soffkov aus und legte die deutsche Schwesterntracht an. Corell halb ihr beim Zuknöpfen, setzte ihr das Häubchen ins Haar und streifte die Rot-Kreuz-Binde über den Mantelärmel.
»So fahre ich mit Ihnen bis Deutschland –«, sagte er. Seine Stimme klang rostig.
»Nie nach Deutschland. Nie, Sascha! Aber ich verspreche Ihnen: Überlebe ich den Krieg, werde ich mein erstes Klavierkonzert ganz allein für Sie spielen. Wenn diese schreckliche Zeit Sie dann nicht schon längst gefressen hat, werden Sie es spüren, wo immer Sie dann auch sind.« Sie schlug den Mantelkragen hoch, ihr Gesicht verschwand fast dahinter. »Können wir fahren, Sascha?«
Corell nickte. Er richtete das Motorrad auf, Clara Soffkov setzte sich auf den Rücksitz, stellte die Pappklaviatur vor sich und blickte in der Dunkelheit zurück in den Felsen. Ein einsames Licht blitzte schnell auf. Der Abschied von ihren Freunden, ihrem Land, ihrer Heimat. Sie senkte den Kopf, drückte das Gesicht gegen die gemalten Tasten und umklammerte dann mit der Linken Dr. Corell, als er vor ihr im Sattel saß.
Von da an ging alles schnell.
Sie erreichten auf einer winzigen, steinigen Straße die kleine Bucht östlich von Koromacno. Das Boot lag hier unter einem überhängenden Felsen, der Benzintank war gefüllt, denn morgen war Sonntag und Dr. Weber wollte wieder zum Fischen um die Landspitze fahren. Die Ordonnanz hatte für alles gesorgt, sogar Verpflegung in Büchsen lag unter dem Sitzbrett auf dem Boden … ein ganzer Sack voll, als ginge Dr. Weber auf Hochseefischerei.
»Das ist alles kein Märchen?« fragte Clara Soffkov. Sie stand noch am Ufer, während Dr. Corell im Boot den Motor ins Wasser kippte und den Benzinhahn aufdrehte. Ein Zug an der Reißleine, und der Motor würde aufdonnern. Es war ein zuverlässiger Motor, Dr. Weber hatte ihn Corell voll Stolz vorgeführt.
»Springen Sie ins Boot –«, sagte Corell. Er streckte die Hand aus, half Clara Soffkov bei dem letzten Schritt, fing sie mit beiden Armen auf, als sie sich vom Land abstieß und umarmte sie. Das Boot schaukelte wild, aber es kippte nicht um.
»Ich habe mein Land verlassen …«, sagte sie ganz leise an seiner Brust. »Jetzt habe ich mein Land verlassen. Ob ich es jemals wiedersehe?«
»Bestimmt, Clara.«
»Aber wie? Wie?«
»Es wird nicht immer Krieg sein.«
»Werfen Sie den Motor an, Sascha! Dieses Abschiednehmen ist abscheulich.« Sie legte die gemalte Klaviatur unter das Sitzbrett, legte die Arme in den Schafwollstrümpfen um Corells Hals und sah ihn mit weiten Augen an. »Wenn es einen Gott gibt, muß er immer bei dir sein.« Sie küßte ihn, und er spürte, wie ihre Lippen zitterten, und der Kuß schmeckte salzig, weil sie weinte, und es war der Kuß einer Mutter, die sich von ihrem Sohn trennt, und war darüber hinaus mehr, viel mehr … ein Kuß, in dem der Schmerz und der Dank einer ganzen zerbrechenden Welt lagen …
Corell riß sich von Clara Soffkov los und zog an der Reißleine. Sofort sprang der Motor an und vollführte in der nächtlichen Stille einen solchen Höllenkrach, daß sich beide entsetzt anstarrten.
»Schnell weg!« rief Corell. »Wenn Sie hier an diesem Griff drehen, geben Sie mehr Gas, und das Boot läuft schneller. Aber seien Sie sparsam mit Vollgas … das Benzin reicht nur eine bestimmte Strecke. Vielleicht müssen Sie noch rudern. Die Riemen liegen seitlich der Sitzbank.« Er sprang an das Ufer, hielt das Boot noch fest und klammerte sich mit der anderen Hand an einen dicken Ast. Clara Soffkov
Weitere Kostenlose Bücher