Ein Sommer mit Danica
eine runter!« schrie Robic. »Ist Danica ein Karnickel, das es zwischen den Steinen oder beim Kleefressen macht? Duschan, du sitzt neben dem Lümmel. Ohrfeige ihn!«
Er rannte in die Küche, man hörte, wie er die Türen eines Schrankes aufriß, dann tauchte Robic wieder auf, in jeder Hand eine Flasche Wein. Er warf eine dem Milizionär zu, der sie mit schnellen Griffen entkorkte. Dravic hatte es darin zu einer heimlichen Meisterschaft gebracht.
»Es steht fest: Sascha wird von Amts wegen abgeschoben.« Robic setzte sich wieder. Sein runder Kopf mit den eisgrauen Stoppelhaaren und dem buschigen Schnurrbart fiel in beide Hände. Er stützte ihn, als sei er schon jetzt zu schwer für den Hals. »Daran ist nichts mehr zu ändern. Amtlich ist amtlich, das wird Duschan bestätigen, das wird Dr. Vicivic bestätigen. Wenn erst einmal ein amtliches Schriftstück vorliegt, ist es schwer, ja fast unmöglich, den Beamten zu bewegen, das Gegenteil zu schreiben von dem, was er bereits geschrieben hat. Beamte haben darin ihren Stolz, Freunde! Sie blasen nicht gegen den Wind. Warum auch? Sascha muß also aus dem Land. Wir können ihn alle gemeinsam zur Grenze bringen, ihn umarmen, küssen, auf die Schulter klopfen, ›Gott mit dir, mein Sohn!‹ rufen und ihm den Abschied so leicht wie möglich machen. Wir können aber auch gar nichts tun und uns einschließen, wenn Duschan Dravic kraft seines Befehles kommt, Sascha abholt und mit einem Milizwagen zur Grenze fährt. Wie's auch wird: Wer hält Danica fest? Verdammt, nur darum sitzen wir hier!«
Jetzt war es heraus, und zum erstenmal an diesem Abend sah Stana ihren Mann mit etwas Bewunderung an. Er gibt zu, Angst zu haben, dachte sie. Wann hat er das jemals eingestanden? Immer war er der Stärkste, der Unbesiegte, der Felsen im Meer. Aber heute gesteht er, hilflos zu sein. Er kapituliert vor seiner eigenen Tochter.
Petar, du bist wunderbar. Es ist so selten, hinter deinem Panzer dein Herz zu sehen …
»Theoretisch gibt es nur eins –«, sagte Dr. Vicivic trocken. »Danica solange mit Stricken fesseln, bis sie sich beruhigt hat. Man kann auch einen Käfig konstruieren, so wie ihn die Raubkatzen haben. Denn Danica wird zu einer Wildkatze werden …«
»Und praktisch?« Robic verzog sein zerklüftetes Gesicht.
»Praktisch würde ich die dicksten Stricke oder die dicksten Eisenstäbe nehmen.«
»Was Besseres wissen Sie nicht, Dr. Vicivic?«
»Nicht bei Danica.«
»Man könnte sie zum Beispiel mit Serge verheiraten.«
»Dann mußt du sie mit ihrem Käfig in die Kirche rollen.«
»Aber sie wird verheiratet sein!« brüllte Robic. »Und sie wird der Familie keine Schande machen. Sie wird sich daran gewöhnen, Frau Dobroz zu sein … und die Liebe kommt dann von allein. Man kann nicht immer neben einem Mann im Bett liegen, ohne daß es einmal zu kribbeln beginnt …«
»Ohne mich!« Serge Dobroz sprang auf. Sein rotes Gesicht war plötzlich weißgrau geworden. Seine schwarzen Augen lagen stumpf und tief in den Höhlen. »Ich mache das nicht mit.« Er umklammerte die Tischplatte, seine Fingerknochen wurden weiß. Die langen Haare fielen ihm über die Stirn, er war ein schöner Junge, groß und kräftig, aber jetzt schien etwas in ihm zu zerbrechen. »Ich habe Angst«, sagte er. »Jawohl, ich habe Angst vor Danica. Und ich liebe sie wirklich. So etwas, was ihr euch ausgedacht habt, kann man mit mir nicht machen.«
»Also Scheiße«, sagte Duschan Dravic und goß sich wieder ein. Es war die neunte Portion Malvazija. Stana hatte mitgezählt. »Überlegen wir weiter. Wenn das amtliche Schreiben aus Ljubljana hier eintrifft, ist es zu spät. Dann muß ich dienstlich werden. Ohne Rücksicht auf meine Freunde.« Er blickte in die Runde. So imponierend er war, niemand sah ihn an. Sie starrten vor sich auf die Tischplatte und in die Gläser und wußten nur eins mit Sicherheit: Wenn Dr. Corell über die Grenze gebracht wurde, war die Tragödie im Hause der Robics nicht mehr aufzuhalten.
20
Spät in der Nacht kamen Dr. Corell und Danica aus Pula zurück.
Das Klavierspiel Clara Soffkovs, die Erschütterung des Wiedersehens, die zwei Stunden nach dem Konzert, in denen sie mit Clara Soffkov allein in einer kleinen venezianischen Gastwirtschaft gesessen hatten, mitten in der Altstadt, wo schon die Römer ihre Schenken bauten, – dieses große Erlebnis eines großen Menschen klang noch in ihrer Seele nach. Für Corell bedeutete dieser Abend den endgültigen Bruch mit seiner
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