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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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Blick von der Haustür und sehe ihn an.
    «Was?», frage ich, weil er nicht weiterspricht. «Alles okay?»
    «Nichts.» Er zieht die Hand wieder weg und wischt mit einer Bewegung alles Unausgesprochene vom Tisch. «Darüber reden wir ein anderes Mal.»
    «Okay.»
    «Aber erinnere mich daran», sagt er. «Falls ich es vergesse.»
    «Du willst mir aber jetzt nicht deine Liebe gestehen, oder? Beichten, dass es mir gelungen ist, den unerreichbaren Anderson Carroll an die Angel zu kriegen?» Ich starre wieder zur Haustür hinauf und frage mich, woher ich die Kraft nehmen soll, diese Stufen hinaufzusteigen. Mit dem Geplänkel schinde ich nur Zeit.
    «Nein.» Er lacht. «Es gibt noch ein paar Dinge, über die wir reden müssen, ehe ich dir meine Liebe gestehe. Erinnere mich einfach daran, okay?»
    Wir verstummen.
    «Soll ich mitkommen?», fragt Anderson.
    Ich schüttle den Kopf und bringe ein mickriges Lächeln zustande. Nein. Mir haben in letzter Zeit viel zu viele andere Menschen hineingepfuscht. Hätte ich mir früher selbst vertraut, hätte sich das vielleicht alles nicht zu solch einer Riesenkatastrophe entwickelt. Das hier ziehe ich alleine durch. Nicht weil ich das schon immer so gemacht habe, sondern weil ich da diesmal tatsächlich allein durchmuss.
    Ich konzentriere mich auf meinen Atem. Er geht viel zu schnell, und mein Herzschlag beschleunigt sich proportional zu meiner inneren Beklemmung.
    «Viel Glück!», wünscht Anderson und gibt mir einen Kuss auf die Wange. «Ich bin direkt hier draußen, falls du Hilfe brauchst.»
    Ich öffne die Tür. Die Abendluft ist überraschend kühl für Virginia. Ein frostiger Hauch streift meine Wangen, und es riecht nach modrigem Holz. Ich gehe auf das Haus zu. Knirschend geben die Kieselsteine unter meinen Schuhen nach, während ich mich Schritt für Schritt, das spüre ich inzwischen überdeutlich, auf mein Schicksal zu bewege, auf das Ziel, das dieser ganzen Geschichte vielleicht von Anfang bestimmt war.
    Selbst im nächtlichen Dämmerlicht sieht das Haus genauso aus wie in meiner Erinnerung, wie ich es gemalt habe, und ehe ich die letzte Stufe nehme und endgültig auf der Veranda stehe, halte ich inne, beuge mich zurück und sehe hinauf. Im ersten Stock blättert die Farbe von den Fenstern, und die schwarzen Fensterläden im Erdgeschoss sind fest geschlossen, aber ansonsten kommt es mir vor, als wäre ich wieder dreizehn Jahre alt, als würde ich mich zum ersten Mal erinnern, als würde ich mich an alles erinnern.
    Erstaunlich, welche Details der Verstand abspeichern kann: die Texte aller Lieder, die man je kannte, selbst wenn man sie zwanzig Jahre nicht gehört hat; Gerüche, die einen augenblicklich wieder zum sechzehnten Geburtstag zurücktragen oder zum ersten Weihnachtsfest, das man mit seinem Ehemann verbrachte; winzige Details – die Notenfolge in einer Melodie, ein Hauch von Zimt im Cidre –, die sich für immer ins Gehirn gebrannt haben. Es sei denn, man wird aus den Wolken geschleudert und die Erinnerung gleich mit. Doch selbst dann. Ja, selbst dann bleiben einige dieser Details erhalten. Wie Brotkrumen, die einem helfen, den Weg zurück nach Hause zu finden.
    Die Treppenstufen knarren unter meinen Schuhen, und eine gefährliche Mischung aus Adrenalin und Nervosität bringt meine Hände zum Zittern. Ich drehe mich zu dem erwartungsvollen Gesicht hinter mir um. Anderson steckt den Kopf zum Fenster hinaus und nickt mir ermutigend zu. Plötzlich fängt alles an zu schwanken, taumelnd greife ich zum Geländer, und eine flüchtige Sekunde lang habe ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Doch dann reiße ich mich zusammen und steige die letzten beiden Stufen zur Haustür hinauf.
    Es gibt keine Klingel, also greife ich nach dem Türklopfer und klopfe dreimal.
    Nichts.
    Ich merke gar nicht, dass ich die Luft anhalte, bis ich mich selbst laut aufatmen höre. Mein Körper zittert, als würde mir ein Dämon ausgetrieben werden. Ich warte weitere zehn Sekunden, doch es geschieht immer noch nichts. Schließlich mache ich auf dem Absatz kehrt, gebeugt unter dem Gewicht der Niederlage, der Tatsache, dass die ganze Idee völliger Blödsinn war, absolut lächerlich, als hätte es tatsächlich so einfach sein können! Wieso habe ich auf einmal angefangen, auf meinen Instinkt zu hören, obwohl ich mir mehr als oft genug bewiesen habe, dass darauf kein Verlass ist! Schleichend mache ich mich auf den Weg zurück zum Auto. Doch dann stecke ich die Hand in die Tasche, und es

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