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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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Leidenschaft komplett verdrängt, abgesehen von kleinen Glücksmomenten vor dem Radio, ein paar Karaokeabenden mit Samantha, wenigen gestohlenen Augenblicken mit Peter am Klavier, als wir frisch verliebt waren.
    Und jetzt ist die Musik vielleicht der Schlüssel, mit dem ich den Weg zurückfinden kann. Zurück wozu? Zu dem, was ich früher war. Und in Zukunft wieder sein kann.
    «Ist jetzt alles wieder da? Deine gesamte Erinnerung?»
    «Nein, nicht alles.» Ich schüttle den Kopf.
    «Aber du bist nah dran.»
    «Vielleicht.» Ich sehe zu, wie die Bäume an uns vorbeifliegen, ineinander übergehen und frage mich, wer der Junge war. Ob er meine erste Liebe war und ob er auch in mich verliebt gewesen ist. Du schuldest mir eine Cola! Was hatten wir einander noch versprochen?
    «Schon komisch, dass deine Mutter dir nicht einfach die Adresse gegeben hat. Sie hätte dir doch von dem Haus erzählen können», bemerkt Anderson, nachdem wir eine Weile zur Hintergrundmusik des Motors und dem Gesang der Reifen auf dem Asphalt geschwiegen haben. Ich schalte das Radio ein, es ist derselbe Oldiesender, der uns schon auf dem Highway begleitet hat. «Ist sie nie auf die Idee gekommen, ihn hier zu suchen?»
    «Wer sagt denn, dass sie das nicht getan hat? Dass sie ihn nicht vielleicht sogar gefunden hat?»
    «Auch wieder wahr.»
    «Wer kann im Augenblick überhaupt irgendwas sagen?»
    Er antwortet nicht und wirft mir einen Seitenblick zu.
    «Glaubst du, ich irre mich?», will ich wissen.
    Er schüttelt den Kopf. «Nein. Nein, überhaupt nicht.» Ihm liegt noch etwas auf der Zunge, aber er spricht es nicht aus.
    «Ach, keine Ahnung», murmele ich, ohne Zusammenhang, mehr zu mir selbst. «Er hat diesen Ort jedenfalls geliebt.»
    Der DJ aus der Abendsendung räuspert sich, liest die Wettervorhersage und wirbt dann in einem schwülstigen Tonfall für einen örtlichen Autohändler. «Und jetzt kommt der nächste Schwung Oldies für euch, ganz ohne Werbeunterbrechung dank Dwayne’s Custom Chevrolet», beendet er die Moderation.
    Ich erkenne erst nach einer geschlagenen Minute, was nun läuft, kurz ehe der Refrain einsetzt. Es ist der Song, der mich verfolgt, der Fluch, der schon mein ganzes Leben auf mir lastet.
    «Weißt du eigentlich, dass meine Eltern mich danach benannt haben?», frage ich Anderson. «Nach dem Lied über die einsamste Frau der Welt. Na ja, so abgedroschen es auch klingt, mein Vater hat John Lennon eine Zeitlang als seine Muse betrachtet. Als die Phase dann eines Tages wieder vorbeiging, war es zu spät. Da hatte ich meinen Namen schon weg.»
    «Das glaube ich dir nicht», empört Anderson sich. «Das würde doch niemand seinem Kind antun.»
    «Ach, mein Guru, du wieder. Aber es stimmt. Ich habe es bei Wikipedia nachgeschlagen.»
    Anderson lacht. «Hat dir denn niemand gesagt, dass man nicht alles glauben darf, was bei Wikipedia steht?» Er wirft mir einen Blick zu. «Vielleicht fand er den Namen einfach nur toll und wollte besonders cool sein, indem er die Beatles ins Spiel brachte. Du weißt schon, Coolness via Assoziation.»
    «Davon weißt du sicher auch ein Lied zu singen.»
    «Kann schon sein. Wir Künstler leiden unter der Begierde nach Coolness via Osmose.» Er berührt meinen Arm. «Außerdem ist es nur ein Lied.»
    «Das klingt jetzt vielleicht lächerlich, aber was, wenn es mein Schicksal war? Wer nennt sein Kind denn bitte nach der einsamsten Frau der Welt?»
    «Und wenn schon! Eltern tun noch viel schlimmere Dinge», meint er, und wir nicken beide, weil wir wissen, dass es so ist. «Außerdem dachte ich, wir hätten beschlossen, dass wir nicht ans Schicksal glauben, dass es keinen Grund für die Dinge gibt, dass das alles völliger Mist ist.» Er lächelt mir zu.
    «Und was, wenn doch nicht?» Ich lächle nicht zurück.
    «Tja», antwortet er. «Und was, wenn doch?»

    In der Auffahrt angekommen, stellt Anderson den Motor ab. Eine einzelne Lampe neben der Haustür gibt genug Licht, um gerade eben das Haus zu erkennen. Es ist zwar dunkel, aber es wirkt bewohnt. Auf einer Bank auf der Veranda liegt nachlässig hingeworfen eine rotgrün gemusterte Indianerdecke, vor der Garage stehen Mülltonnen, und an der Holzverkleidung lehnt ein Rechen: alles Anzeichen von Leben.
    «Und jetzt? Gehst du einfach rauf und klopfst an die Tür?», will Anderson wissen.
    «Ja.» Ich hole tief Luft. «Jetzt gehe ich einfach rauf und klopfe an die Tür.»
    «Hör mal.» Seine Stimme ist rau, und er nimmt meine Hand. Ich löse den

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