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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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Ohr und Schulter.
    «Rory? Ich bin’s», sage ich, sobald sie abhebt. «Ich muss dich was fragen. Wer bin ich vorher gewesen?»
    «Was meinst du damit?» Sie klingt verschlafen. «Du warst meine große Schwester. Wir haben zusammen eine Galerie betrieben. Das hatten wir doch schon.»
    «Nein, nein. Das weiß ich doch. Ich meine, wer bin ich gewesen? Mit wem bin ich auf den Schulball gegangen?»
    «Ach Gott, hm …» Sie zögert. «Ach, ja, er hieß Mitchell Loomis. Äh, er war in der Ringermannschaft.»
    «War er mein Freund? Ich meine, sind wir auf dem Ball zusammengekommen, waren wir nackt baden, haben wir uns betrunken, sind wir gaga gewesen?»
    Obwohl sie immer noch verschlafen ist, muss sie lachen. «Ganz egal, was du gewesen bist, Nellie, aber ganz sicher niemals gaga.» Nach einer kurzen Pause meint sie: «Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, was du in deiner Prom-Nacht getrieben hast. Ich war damals erst in der Mittelstufe. Aber wenn ich wetten müsste, würde ich dagegen wetten. Du hast sicher weder in der Ecke rumgeknutscht, noch warst du nackt baden.» Ich seufze. Nein! Das kann nicht stimmen. Ich war die ganze Nacht in einem Cabrio mit heruntergelassenem Verdeck unterwegs und habe den Mond angeheult.
    «Und ich? Ich meine, mein Leben? War es wie in Friends ?»
    Glitzernd! Lebendig! Mit perfekter Frisur! Ich kann mich von dieser Vorstellung einfach nicht trennen.
    «Du meinst, wie in der Serie?» Sie lacht. «Nell, niemand hat ein Leben wie bei Friends. Deswegen haben wir die Sendung doch alle so geliebt.» Ich höre, wie es neben ihr raschelt.
    «Willst du damit sagen, dass ich immer die Vernünftige war? Die, die dich überredet hat, vom Baum zu klettern? War ich niemals das Mädchen, das spontan und aus dem Bauch raus gelebt hat?» Ich muss an Anderson denken, daran, dass er eine ansteckende, schelmische Energie verströmt und dass der Raum, den er einnimmt, größer ist als das Leben selbst. Und an Monica und Rachel – alles nur Show? Mir doch egal! – und das stets präsente Publikumslachen. Ich will auch Gelächter vom Band! Ich will das Leben, das zu diesem Gelächter gehört!
    «Eher nicht, aber genau das haben wir alle so an dir geliebt», sagt Rory. «Auf dich war immer hundertprozentig Verlass. Du hast doch nicht zufällig Jura studiert.»
    «Ich habe Jura studiert?»
    «Weißt du das nicht?»
    «Rory!» Ich seufze. «Bitte. Ich will mich nicht ständig wiederholen. Wenn ich zweifle, dann weiß ich es nicht. Ich weiß es nicht! Okay?»
    «Himmel! Okay.»
    Einen Moment lang herrscht Schweigen, und nur die Spannung fließt durch die Leitung, bis sie sich langsam auflöst.
    «Warte mal, war ich Anwältin?» Das fühlt sich wirklich völlig falsch an.
    «Nein. Du hast nur drei Semester studiert. Dann hast du aufgehört, und Mom hat dir einen Job bei einem Freund besorgt, der Regisseur bei Liebe, Lüge, Leidenschaft war.»
    «Die Seifenoper?» Die hatte ich in den endlosen Stunden meiner Tage hier im Krankenhaus auch schon ab und zu gesehen.
    «Ja, die Seifenoper!» Sie klingt völlig genervt!
    Als hättest ausgerechnet du irgendein Recht, genervt zu sein!
    «Du warst gut. Was soll ich sagen?» Sie seufzt. «Irgendwann hast du dort den ganzen Laden geschmissen – du weißt schon, Papierkram und Verträge, Personalverwaltung und weiß Gott, was noch. Deswegen wusste ich ja auch, dass du das mit der Galerie packen würdest. Und deswegen hast du schließlich ja auch eingewilligt. Deswegen, und weil Dad dir immer gesagt hat, dass du den richtigen Blick hast, dass du hättest großartig werden können.»
    «So großartig wie er?» Ich richte mich auf und starre zum Fenster hinaus. Vielleicht war das mein Einstieg, der Beginn meines fabelhaften Ichs. Ja, ja! Ich hätte großartig werden können!
    «So großartig wie er», bestätigt sie. «Bist du aber nie geworden.»
    Einfach so! Ich sinke zurück in die Kissen. «Das war nicht böse gemeint», sagt sie. «Ich meine nur, weißt du, er war nie zufrieden. Außerdem war eigentlich sowieso immer Musik viel mehr dein Ding. Ich weiß nicht, weshalb er sich nicht damit zufriedengeben konnte.» Sie bricht plötzlich ab, als hätte sie womöglich zu viel verraten.
    Ich schaue an die Decke und gebe mir ein Versprechen: In diesem Leben, in diesem neuen Leben, werde ich großartig sein, ich werde mein Ding machen. Ich werde mein eigenes Gelächter vom Band bekommen, weil mein fabelhaftes Ich es verdient. Einhundertzweiundfünfzig Menschen sind gestorben. Ich

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