Ein Sommer und ein Tag
getan.»
Eine Entschuldigung, die sich schwer überprüfen lässt.
«Schön. Jetzt weiß ich es.»
«Es tut mir leid», antwortet er und fängt zu schluchzen an. «Ich meine, das habe ich dir zwar schon tausendmal gesagt, aber … du kannst dich ja nicht daran erinnern. Es tut mir wirklich leid. So sehr.»
«Ich bin zu müde für so was. Es ist okay, wenn ich mich nicht daran erinnern kann. Welche Frau will sich schon daran erinnern, dass ihr Mann mit einer anderen im Bett war?»
«Ich würde dir gerne erzählen, was passiert ist», bittet er flehend. «Vielleicht hilft das.»
«Mir oder dir?» Am liebsten würde ich den Rufknopf drücken und ihn rauswerfen lassen.
«Uns beiden», sagt er. «Vielleicht kann es uns beiden helfen.» Er verhaspelt sich. «Das Allerwichtigste auf der Welt für mich ist, dass du mir erlaubst, es wieder in Ordnung zu bringen.» Er richtet seine Baseballkappe zurecht, wobei er sie etwa eine Sekunde zu lang mit der Hand umklammert hält, ehe er sie wieder aufsetzt. Die ungewaschenen Haare kleben ihm an der Stirn, der Schmerz der letzten beiden Wochen hat jeden Hauch einer gesunden Gesichtsfarbe von seinen Wangen getilgt. Ich stelle mir vor, was mein fabelhaftes Ich , ein Ich, das es niemals nötig hätte, sich zu einer zweiten Chance zu verpflichten, in ihm sehen würde: Selbst durch den Stoff seiner Kleidung hindurch lässt sich erahnen, wie gut er gebaut ist, und vielleicht sollte ich ihm dankbar sein, weil er hier ist, zerknirscht, reumütig, um Gnade flehend.
«Vorher … habe ich dir da erlaubt, es wieder in Ordnung zu bringen?» Ich befinde mich an der ungreifbaren Grenze zwischen Taubheit und Wut.
«Irgendwie schon. Ich meine, ich habe wirklich getan, was ich konnte …» Seine Stimme wird schon wieder brüchig, und ich hätte gute Lust, ihm einen Kinnhaken zu verpassen.
«Tja, du weißt, dass ich mich nicht daran erinnern kann.»
«Ich weiß.» Er nickt, ein erbärmliches Eingeständnis, dass er, was das betrifft, vollkommen machtlos ist.
Sind wir, was das betrifft, nicht alle machtlos? , würde ich ihm am liebsten ins Gesicht schreien. Wieso zum Teufel spielt es eigentlich eine Rolle, was du dir so sehnlich wünschst? Und was ist mit meinen Wünschen? Dem Wunsch zum Beispiel, mich an meinen Prom-Ball zu erinnern, und an den letzten Anblick meines Vaters?
«Und dieses Kind? Was ist damit?»
Jetzt bricht er endgültig zusammen, und während seine Schultern anfangen zu beben und das Schluchzen seinen kräftigen Oberkörper durchschüttelt, starre ich an die Zimmerdecke und warte darauf, dass dieser Ausbruch vorbeigeht. Schließlich reißt er sich wieder zusammen.
«Das habe ich nicht gewusst.» Er sucht meinen Blick. «Okay? Ich habe nicht gewusst, dass du schwanger bist. Du hast es mir nicht erzählt.» Er fährt sich mit dem Handrücken über das feuchte Gesicht. «Aber es … also das Kind, war von mir. Wir … wir hatten uns versöhnt.» Wieder zittert seine Stimme, aber er spricht weiter. «Jetzt, wo ich es weiß – wo ich weiß, was wir beide verloren haben –, werde ich alles, wirklich alles, tun, um eine zweite Chance zu bekommen.»
«Und wieso sollte ich dir die geben?», frage ich und lausche dem steten Brummen der medizinischen Apparaturen um mich herum, in dem Wunsch, es könnte alle anderen Geräusche übertönen.
«Weil ich die Leerstellen füllen möchte, weil ich dich daran erinnern will, wie sehr du mich geliebt hast, wie sehr wir uns geliebt haben. Ich glaube, dass ich dazu in der Lage bin. Ich möchte dir die Erinnerungen an uns zurückbringen, daran, wer wir waren.» Er räuspert sich, hat sich fast wieder im Griff. «Ja! Daran, wer wir waren.»
Ich erzähle ihm nicht, dass ich Jamie bereits darauf angesetzt habe, genau das herauszufinden. Ich würde es ihm gern sagen, aber tief, ganz tief in meinem Innersten meldet sich überraschend eine Stimme und rät mir davon ab. Flüstert mir zu, dass für den Augenblick genug Herzschmerz geschehen ist und Peter das vielleicht auch weiß, ohne dass ich es aussprechen muss. Dass ich immer noch wütend und enttäuscht sein und gleichzeitig dennoch loslassen kann, wenn auch vielleicht nur für diesen Augenblick. Mein neues Ich. Weicher, nachgiebiger, mit einer ganz zart rosarot getönten Brille.
«Bitte!» Er hat mein Zögern bemerkt. «Nell! Ich tue alles dafür!»
Ich seufze und werfe einen Blick auf die Uhr in der Ecke. Es ist gerade mal 20:35 Uhr. Jamie ist erst morgen früh wieder auf Sendung,
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