Ein Sommer und ein Tag
Werbejingles.» Mit zittrigen Fingern greift er nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher ein. Auf dem Kabelsender, den sie immer sieht, läuft eine LKW-Werbung mit einem Country-Riff. «So was in der Art.» Er deutet auf den Bildschirm. «Solche Sachen schreibe ich.» Er schaltet den Fernseher wieder aus.
«Das ist aber nicht besonders bedeutend», sagt sie, und er hält den Atem an. Dann lacht sie, und er merkt, dass sie einen Witz gemacht hat, nicht, weil sie sich über ihn lustig macht, sondern weil es tatsächlich nicht besonders bedeutend ist.
«Nein.» Er lacht selbst. «Stimmt. Aber es ist gut bezahlt. Und es macht mir Spaß. Im Augenblick zumindest.» Ginger erwähnt er nicht. Dass sie zwei Türen weiter ihr Büro hat und dass sie fast achtzig Prozent ihrer Musik gemeinsam schreiben. Er erwähnt auch nicht, dass es Rory war, die Nell von seinem Seitensprung erzählt hat – sie hatte über Umwege davon gehört –, und dass dieser Umstand nur ein weiteres von vielen Problemen mit Nell war – sowohl für Rory als auch für Peter. Außerdem erzählt er ihr nicht, dass Nell ihn, als sie sich das letzte Mal über seine Arbeit unterhalten haben – vor vier Monaten –, in der Küche mit einem Fleischklopfer bedrohte und ihn endgültig aus der gemeinsamen Wohnung warf. Ausgenommen dieses eine, erbärmliche, alkoholgeschwängerte Intermezzo vor neun Wochen – er war davon ausgegangen, dass sie da immer noch die Pille nahm, aber vielleicht hatte sie die auch abgesetzt. Inzwischen ist ihm klargeworden, dass er Ginger kein bisschen liebt! Natürlich hätte er niemals einen zweiten (oder dritten) Blick riskieren dürfen, als sie sich mit ihrem großen Ausschnitt tief (und dann noch tiefer) über das Mischpult beugte. Himmel noch mal! Natürlich würde er sein rechtes Ei dafür geben, alles ungeschehen zu machen! Nein, all das sagt er ihr nicht.
«Trotzdem, das ist doch kaum der Stoff, aus dem Träume gemacht sind», bekräftigt Nell. «Werbejingles. Dass es solche Jobs überhaupt gibt!»
«Nein, das stimmt. Mein Vermächtnis wird hoffentlich mal mehr sein als der Jingle für Pizza Hut», räumt er ein.
«Du hast anscheinend noch nichts gefunden, was wirklich dein Ding ist, wo du wirklich hinterstehst.»
Er zögert, weil er nicht weiß, wie weit er gehen kann, wie weit sie und die Verbindung zwischen ihnen es zulässt. Er spürt, wie sie zurückweicht, bemüht, ihm nicht zu viel Sympathie zu schenken, ihm aber gleichzeitig ein dünnes Rettungsseil zuwirft, das sie früher stattdessen einfach zu einer Schlinge geknotet und ihm, ohne mit der Wimper zu zucken, um den Hals gelegt hätte. Vielleicht hat Indira recht: Vielleicht ist sie wirklich leicht verändert zu ihm zurückgekehrt, so als wäre bei dem Absturz versehentlich ein Reset-Button betätigt worden. Er beschließt, alles auf eine Karte zu setzen. Sie weiß schließlich nichts mehr von dem ganzen Gemetzel. Erinnert sich nicht an die Dinge, die sie einander an den Kopf geworfen haben, daran, wie die Sache mit Ginger ihre Beziehung zerstört hat. Beziehungsweise, wenn er ganz ehrlich war, wie er ihre Beziehung zerstört hat – obwohl er sehr lange der Meinung war, und es zum Teil auch jetzt noch ist, dass Nell daran auch nicht ganz unschuldig war. Würde sie sich erinnern – könnte sie sich erinnern –, hätte er nie gewagt, ihnen noch eine Chance zu geben, weil sie es niemals zugelassen hätte.
Als Nell mit dem Flugzeug abstürzte, haben sie nicht mal mehr miteinander gesprochen. Rory hat ihn am Telefon über das Unglück informiert – sie war auf dem Rückweg aus dem Giants Stadium, und er konnte sie kaum verstehen – O Gott, hat sie gesagt, pack deine Sachen und komm zum Flughafen. Er hat nicht mal ganz verstanden, worum es ging. Bis ihn die Erkenntnis plötzlich wie ein Schlag traf: Bumm! Seine Frau, die ihn, ganz nebenbei, aus tiefster Seele hasst, ist tot. Und dann stellt sich heraus, dass sie doch nicht tot ist. Das erfährt er sechs Stunden später, und da schwört er sich, dass er alles tun wird, um seine Ehe zu retten.
Das ist der Grund, weshalb er es jetzt wagt. Weil er das alles durchgemacht und daraus gelernt hat.
«Vielleicht kannst du das ja für mich sein, mein Ding, das Wichtige in meinem Leben», sagt er und hofft nur, dass sie sich nicht über seinen Vorschlag lustig macht. Früher hatte sie für Gefühlsduseleien nichts übrig, nicht einmal ganz am Anfang, als er sie umwarb. Aber wer weiß, wie es jetzt ist?
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