Ein Sommer und ein Tag
zusammen, versuche, noch ein wenig mehr herauszuquetschen.
Das Mädchen, ja, das ist Rory. Sie trägt einen kurzen Schlafanzug mit grünen Sternen und trinkt Limonade. Im Hintergrund steht ein weißes Haus mit Veranda. Es sieht aus, als würde es in Georgia stehen – mit einer Schaukel und zwei Schaukelstühlen sowie einer Laterne bei der Tür. Ein Gefühl, als läge Jazz in der Luft, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Vielleicht kein Jazz, aber etwas anderes, das meinen Körper elektrisiert. Vielleicht Jackson Browne, vielleicht auch nur das Radio. Es duftet nach Geißblatt, nach Sommer, und ich rufe nach Rory – «Rory! Komm jetzt! Hör auf, rumzuwuseln. Du musst dich zu mir setzen, sonst verpassen wir es.»
«Ich komme», antwortet sie. «Sei doch nicht so doof. Mann! Ich komme ja schon.»
So schnell es da war, so schnell ist es wieder verschwunden. Ich versuche, mich an noch mehr zu erinnern, mehr als an diesen winzigen Schnipsel. Auf dem Bett liegend, die Zähne zusammengepresst, versuche ich, mein Hirn auszuquetschen wie einen Schwamm, in der Hoffnung, dass sich noch ein kleiner Tropfen herauszwingen lässt.
Es kommt nichts mehr. Die Wohnungstür fällt ins Schloss, und Peter ruft: «Chinesisch!» Ich setze mich so eilig auf, dass mir schwindelig wird und ich Sterne sehe, dann rufe ich zurück: «Peter! Bring mir das Telefon! Ich muss Rory anrufen! Ich habe mich an was erinnert!»
Weder Rory noch meine Mutter können mit meiner Erinnerung an einen Sommerabend meiner Kindheit etwas anfangen.
Zwei Tage später erzähle ich meiner neuen Psychotherapeutin Liv davon, als sie zu ihrem ersten Hausbesuch kommt.
«Hm, ja vielleicht», meinte Rory nur, als ich sie endlich in Hughs Wohnung erreicht habe. Sie planen gerade, zusammenzuziehen, und nach allem, was ich in den paar Tagen seit meiner Rückkehr mitbekommen habe, wohnen sie eigentlich mehr oder weniger schon zusammen. «Klingt irgendwie vertraut, aber vielleicht war ich auch noch zu klein, um mich zu erinnern.»
«Vielleicht, Liebes», sagte meine Mutter, als sie am selben Abend später bei uns vorbeischaute, ihren Partner Tate im Schlepptau – ein publizierender Dichter, der trotz der feuchten Spätsommerhitze einen Schal um den Hals trug – und den ich auf den ersten Blick nicht ausstehen konnte. Er küsste mich zur Begrüßung und tätschelte mir den Rücken, als ob wir alte Freunde wären, was wir ja vielleicht auch waren – wer weiß? Trotzdem machte mich sein Anblick verrückt. «Natürlich könnte das geschehen sein», sagte meine Mutter. «Aber unser Haus hat keine Veranda. Außerdem habe ich Jazz noch nie gemocht. Trotzdem, Liebling, du kannst stolz auf dich sein! Du bist auf dem richtigen Weg! Dafür darfst du dich ruhig selbst auf die Schulter klopfen!»
An dieser Stelle meldet Liv sich zu Wort. «Es ist interessant, dass Sie mir ausgerechnet das zuerst erzählen. Dass Ihre Mutter immer noch so mit Ihnen spricht.»
«Tja, genau so», bestätige ich. «Und ich sollte hinzufügen, dass es sich anfühlt, als wäre das ganz normal für sie – als würde sie ständig solche Sachen sagen. Oder hätte ständig solche Sachen gesagt, wie: ‹Du kannst stolz auf dich sein, Liebes!› Gott, wir könnten wirklich kaum unterschiedlicher sein.»
Liv lächelt, windet ihre dunkelblonden Haare im Nacken zu einem Knoten zusammen und befestigt ihn mit einem Haargummi, das sie ums Handgelenk trägt. Sie ist jung, in etwa so alt wie ich, ein paar Jahre mehr oder weniger, und es fällt mir leicht, mit ihr zu sprechen, ob das nun an ihren beruflichen Fähigkeiten liegt oder nicht. Sie macht sich eine Notiz, während ich ihren Namen mit einer erfundenen Melodie zusammenbringe – Liv, Liv, erzähl mir mein Leben, Livilein, Livilein, wie wird meine Zukunft sein?
Sie legt den Stift hin. «Schön zu sehen, dass Sie sich trotz allem Ihren Humor bewahrt haben. Freude ist sehr wichtig.»
«Ich weiß nicht, ob ich mich selbst als fröhlich charakterisieren würde.»
«Wie würden Sie sich denn charakterisieren?»
Ich lehne mich zurück und denke über die Frage nach.
«Ach, ich weiß es nicht. Aber fröhlich würde mir nicht als Erstes in den Sinn kommen.» Ich muss an die Frage denken, die ich Samantha vor zwei Wochen gestellt habe: Was hat mich glücklich gemacht? Wer weiß? Wer konnte mir das sagen?
«Wie wäre es, wenn wir uns das zum Ziel setzen?», fragt sie. «Herauszufinden, wie Sie selbst sich beschreiben würden. Wer Sie jetzt
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