Ein Sommer und ein Tag
Studie über die Bandbreite neutraler Farbtöne – und atme hörbar aus.
Peter mietet eine Limousine, und meine Mutter, die nach einem Parfüm riecht, das mich stark an Patschuli erinnert, und Tate, der einen Blazer und ein zu weit aufgeknöpftes Oxford-Hemd trägt, begleiten uns. Ehrlich gesagt bin ich dankbar über die Eskorte, auch wenn ich dafür dabei zusehen muss, wie Tate meiner Mutter einen feuchten Kuss gibt und sie ihm ihren scharlachroten Lippenstift vom Mund wischt. Sie benehmen sich wie Teenager in einer Sitcom. Die haben doch auch ihr Gelächter vom Band, verdammt noch mal!
Ich toleriere ihre Gesellschaft trotzdem. Es ist nämlich schlicht und ergreifend so, dass Peter und ich, seit das Chaos langsam abebbt und die Stille zusehends mehr Raum einnimmt, eigentlich nicht wissen, worüber wir sprechen sollen. Die beiden füllen unsere Wohnung mit Leben. Natürlich gibt es auch ab und zu Gespräche, aber meistens schleichen Peter und ich nur stumm umeinander herum, und wenn die Stille zu peinlich wird, stellen wir den Fernseher lauter. Gestern Abend hat er mich, nachdem er vom Sport zurückkam, auf den Klavierhocker gezogen und gefragt, ob ich vielleicht Lust hätte, etwas zu spielen – für ihn, mit ihm. Obwohl meine Finger, als ich sie über die Tasten gleiten ließ, automatisch die richtige Spielhaltung einnahmen und instinktiv ein Gefühl für Rhythmus durch sie hindurchströmte, schüttelte ich ablehnend den Kopf. Ich schob den Klavierhocker zurück, sodass die Füße quietschend über den Holzfußboden schrammten, und verschwand unter die Dusche. Dort blieb ich, bis der Spiegel beschlagen war, mich selbst tadelnd – ein Mädchen, das das Leben bei den Hörnern packt, würde sich nie so verhalten –, weil ich nicht genug Kraft aufbringen konnte, um zu ihm zurück ins Wohnzimmer zu gehen.
Zeit. Verzeihen. Das Flehen meiner Mutter. Ich versuche, alldem gerecht zu werden. Vielleicht war unser Hochzeitssong kein Zufall: Have a Little Faith , hab ein bisschen Vertrauen. Allerdings.
Die Galerie liegt auf der Zwanzigsten Straße in Chelsea, und als wir vorfahren, beginnt die Sonne gerade hinter den Wolkenkratzern zu verschwinden. Dank des Verkehrs auf dem West Side Highway sind wir spät dran, und es hat sich bereits eine ganze Horde Gesichter versammelt, um mich zu begrüßen – alle fremd und gleichzeitig vertraut durch die Bilder aus meinen Alben. Das war zu erwarten. Was ich nicht erwartet habe, ist der Andrang von Kamerateams, die den Bürgersteig verstopfen.
Anderson bahnt sich einen Weg an ihnen vorbei und macht uns die Wagentür auf. Er zerrt mich aus der Limousine, und wir schlingen unsere frisch verheilten Gliedmaßen umeinander.
«Die Frau, die mir das Leben gerettet hat!», sagt er und vergräbt das Kinn in meiner Schulter.
Gott, es tut gut, ihn zu sehen, obwohl es erst ein paar Tage her ist! Ein sicherer Hafen mitten im Sturm.
«Komm mit, beachte sie gar nicht», sagt er, als wir uns voneinander lösen und er meine untertassengroßen Augen sieht. Ich sollte mich inzwischen eigentlich daran gewöhnt haben – nach meinem Porträt auf diversen Titelblättern, dem Dreiteiler mit Jamie im Lokalfernsehen in Iowa und angesichts des Interesses von American Profiles. Außerdem hat Rory mir von den Fernsehteams erzählt, die seit Tagen die Galerie belagern – aber erst war ich in meinem Krankenzimmer, und danach bin ich meistens in meiner Wohnung geblieben, und dieser plötzliche Verlust von Anonymität erschreckt mich zutiefst. Ich fühle mich wie die Kaiserin, die auf einmal merkt, dass sie keine Kleider am Leib trägt, sondern nackt ist.
Von all denen, die in dieses Debakel verstrickt sind, weiß Anderson als Einziger, wie mit diesem speziellen Aspekt umzugehen ist.
«Sie gibt keinen Kommentar», sagt er zur Presse und führt mich am Ellbogen durch die Menge.
«Stimmt es, dass Ihr Gedächtnis zurückkehrt?», ruft eine Frau mit Diktiergerät in der Hand.
«Woher wollen Sie das denn wissen?» Ich fahre so schnell zu ihr herum, dass ein Halswirbel knackst. Woher könnte das irgendwer wissen?
«Unsere Quellen berichten, dass Sie Ihr Gedächtnis wiederhaben.» Sie lächelt mich an, als hätte sie mir gerade einen Gefallen getan.
«Moment», sagt Anderson zu mir, und ich denke: Eure Quellen? Wer, bitte sehr, spaziert da draußen herum und bezeichnet sich als Quelle? Als ob mein Leben eine Geheimmission wäre, über die jeder natürlich ebenso heimlich berichten darf! Während ich noch
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