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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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sind.»
    «Sie meinen, wer ich früher war.»
    «Nein», erwidert sie schlicht. Und dann: «Na ja, doch. Das ist auch ein Teil des Ziels.» Sie schraubt ihre Wasserflasche auf und trinkt einen Schluck. «Aber das muss nicht unbedingt dasselbe sein. Das ist sehr wichtig zu wissen. Auch angsteinflößend. Aber wichtig.»
    «Aber das ganze Zeug von früher – ich meine, mein Leben. Werde ich mich wieder daran erinnern? Es zurückbekommen, unabhängig davon, wer ich heute bin?» Die Vorstellung, mein Gedächtnis würde für immer wie leergefegt bleiben, ist zu grauenhaft, um sie zu ertragen.
    «Ich möchte jetzt nicht wie Ihre Mutter klingen, aber in dem Punkt gebe ich ihr recht: Überhaupt eine Erinnerung zu haben ist ein großartiger Fortschritt», sagt Liv, schraubt die Flasche wieder zu und stellt sie neben sich auf den Fußboden. «Das ist ein echter Durchbruch. Ihr Gehirn versucht, die Verbindungen wiederherzustellen.»
    «Aber vielleicht hat es Verbindungen geschaffen, die es vorher gar nicht gab! Weder meine Mutter noch Rory erinnern sich an etwas Gleichartiges!»
    «Möglich», sagt sie. «Doch das bezweifle ich. Sie sagten, es hat sich real angefühlt, wie ein Déjà-vu. Wenn es so greifbar war, sollten Sie es nicht in Frage stellen. Möglicherweise hat Ihr Gehirn Erinnerungen an getrennte Ereignisse miteinander verbunden, aber etwas ist da sicher gewesen. Unterschätzen Sie das nicht.»
    «Wenn ich mein Leben im Augenblick betrachte, dann gibt es wohl kaum etwas, das ich unterschätzen könnte.»
    Das Telefon unterbricht uns, und der Anrufbeantworter schaltet sich ein.
    «Entschuldigen Sie», sage ich. «Bei uns ruft alle paar Stunden irgendwer an. Ich weiß nicht, was es an ‹Kein Kommentar› nicht zu verstehen gibt. Erinnern Sie mich bitte dran, dass ich, wenn ich das nächste Mal einen Flugzeugabsturz überlebe, sofort meine Nummer aus dem Telefonbuch löschen lasse.»
    Sie lacht und kaut kurz auf ihrem Stift. «Also, ein paar organisatorische Dinge. Wir treffen uns zweimal wöchentlich. Manchmal wird Ihnen nach Reden zumute sein, manchmal auch nicht. Wir werden uns verschiedener Methoden bedienen: geleitete Meditationen, freies Assoziieren … Wir werden sehen, was funktioniert und was nicht. Und Sie können parallel dazu versuchen herauszufinden, was diese flüchtigen Gefühle auslöst; was Sie selbst tun können, um weiterzukommen.» Sie lächelt mich an. «Aber Sie sind dabei nicht auf sich gestellt. Auch wenn Sie sich allein fühlen, ich bin hier, um Ihnen zu helfen.»
    «Gegen ein bisschen Hilfe hätte ich nichts einzuwenden.»
    «Aber ich möchte nicht, dass Sie den Eindruck bekommen, das Ganze wäre ein Kinderspiel.»
    «Den Eindruck hatte ich nie», sage ich. «Dazu gibt es wirklich keinen Anlass.»

[zur Inhaltsübersicht]
    9
    E ine Woche nach meiner Rückkehr gibt Rory in der Galerie – die dank der öffentlichen Neugierde boomt wie nie – eine Willkommensparty für mich. Ich spare mir die Frage: «Willkommen zurück zu was?», auch wenn mir der Gedanke durchaus gekommen ist. WILLKOMMEN ZURÜCK ZU … GAR NICHTS! Nein, das Plakat wäre definitiv unfeierlich.
    Ich tupfe mir etwas Make-up unter die Augen, töne mir die Augenlider mit einem Hauch braunem Lidschatten, den ich in meinem Schminktisch gefunden habe, und tusche mir die Wimpern. Danach starre ich mein Spiegelbild an und versuche es mir vorzustellen – die Galerie, die wogende Gästeschar, das Wirrwarr der Menge, die auf mich zuströmt. Vielleicht war hier mein fabelhaftes Ich versteckt. Vielleicht ist das mein Element gewesen, das, was ich am besten konnte. Vielleicht habe ich hier die zitronensaure Griesgrämigkeit des People -Fotos abgeworfen, bin wie im Scheinwerferlicht als Mittelpunkt jeder Veranstaltung quer durch die Kunstwelt geflitzt, mit einem unglaublichen Geschäftssinn, von Deal zu Deal. Ja , denke ich, hier werde ich endlich fündig werden, endlich einen Blick auf die Karte werfen, die mir den Weg zur neuen Nell weist, und hier bekomme ich den entscheidenden Hinweis auf die, die ich schon immer gewesen sein könnte.
    Ich streiche mir die Haare glatt und frage mich, ob sie nicht ungefähr zehn Zentimeter zu lang sind. Und wieso ich eine derart langweilige Frisur getragen habe – glatt, Mittelscheitel –, obwohl ein anderer Schnitt die Weichheit meiner Züge und mein herzförmiges Gesicht hätte viel besser betonen können. Ich streiche die Falten aus dem grauen ärmellosen Kleid – mein Kleiderschrank ist eine

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