Ein Sommer und ein Tag
der Stimme, genau wie es einer Situation wie dieser angemessen ist.
«Eines Tages wirst du ein Star sein», sage ich zu ihm.
«Glaubst du?», fragt er zurück, aber ich weiß, dass er sich freut, als wäre allein die Vorstellung sein allergrößter Traum.
Im Hintergrund klingelt das Telefon inzwischen pausenlos: ein permanentes Gekreische in abgehackten Intervallen. Ständig springt der Anrufbeantworter an – ein paar Journalisten mit der Bitte um einen persönlichen Kommentar, hauptsächlich aber alte Freunde, die aus der Vergangenheit auftauchen, um mir alles Gute zu wünschen. Jamie geht ständig seinen SMS-Eingang durch, genau wie Anderson und Peter, und mir wird bewusst, dass mein Leben noch nie ein so offenes Buch war wie jetzt, und das, obwohl es für mich selbst absolut anonym geworden ist: Da draußen lauert die Welt, späht zu mir herein, will durch all meine Poren in mich eindringen, um mein Innerstes zu betrachten.
Der Werbeblock wird mit einem Waschmittel-Spot abgeschlossen, und Peter meldet sich zu Wort: «Den hat meine Abteilung geschrieben. Gar nicht schlecht, was?» Er summt die Melodie mit, und Mom und Tate nicken zustimmend. Rory wirft mir einen Blick zu, als hätte sie an einer verschimmelten Zitrone gelutscht. Ich weiß genau, was sie denkt – Ginger –, obwohl ich mit aller Macht versuche, genau das nicht zu denken. Weil es vorbei ist und unser Gehirn in der Lage ist, selbst die schlimmsten Fehltritte gründlich zu verdrängen, wenn es nur will. Ich antworte ihr mit einem Hör endlich auf! Lass es! -Blick, bis sie die Augen verdreht und gehorcht.
Die Sendung geht weiter, und dann bin ich selbst im Bild. Die Maskenbildnerin hat mich mit so viel Rouge und Eyeliner bedacht, dass ich mich im ersten Moment selbst nicht erkenne. Mit zusammengekniffenen Augen rücke ich näher an den Bildschirm heran. Ja, das bin tatsächlich ich. Ich. Anders. Herausgeputzt. Erotischer? Ja, vielleicht auch erotischer. Als würde ich es mit meinem fabelhaften Ich tatsächlich ernst meinen. Vielleicht bin ich mit meinem neuen Gewicht, den klar definierten Wangenknochen und den perfekt gezupften Augenbrauen ja tatsächlich umwerfend, der Wahnsinn, ein Titel, der bis jetzt für Rory reserviert war. Peter fällt die Kinnlade herunter, er sieht mich an und zwinkert.
«Der Hammer!», sagt er, ohne zu ahnen, welche Spannung seinetwegen – Ginger! – eben noch zwischen Rory und mir herrschte.
«Ab und zu geschehen eben immer noch Wunder», antworte ich.
«Du siehst echt gut aus», bestätigt Anderson und erntet dafür allgemein gemurmelte Zustimmung.
«Einen Flugzeugabsturz überleben und dafür eine Rundumerneuerung bekommen. Klingt doch nach einem fairen Deal», scherze ich.
Jamie und ich unterhalten uns über die üblichen Dinge: die Dinge, an die ich mich erinnern kann (ein kurzer Abschnitt), die Dinge, an die ich mich nicht erinnern kann, und darüber, wie mein Leben seit der Rückkehr verlaufen ist. Ich erzähle von den wenigen Erinnerungen, die ich bisher hatte – und beschreibe das Haus in Virginia und diesen einen Sommerabend derart genau, dass selbst meine Familie völlig gespannt dasitzt und lauscht. Meine Mutter wischt sich die Tränen weg, und Tate massiert ihr den Nacken. Ich spreche über meine Schwangerschaft und den Verlust, lasse allerdings die große unbeantwortete Frage Was hatte ich vor? unberührt. So unauffällig wie möglich versuche ich, Peter zu beobachten, weil ich wissen will, was er denkt, wie er reagiert, was ein Kind für seine Zukunft vielleicht bedeutet hätte, damals. Trotz meiner Befürchtungen kommen mir während der ganzen Sendung kein einziges Mal die Tränen. Meine Stimme klingt fest und tapfer, und als Jamie gegen Ende von mir wissen will: «Warum haben Sie es überlebt? Was glauben Sie?», zucke ich nur mit den Schultern, schüttle kaum merklich den Kopf und kann ihm darauf keine Antwort geben. Stattdessen berichte ich, dass ich die Wahl getroffen habe, von Tag zu Tag zu leben, und versuchen werde, dieser zweiten Chance gerecht zu werden. Mehr kann ich nicht tun , erzähle ich ihm und hoffe dabei, dass Liv die Sendung sieht, denn ich glaube, sie würde diese Antwort gutheißen.
Das Telefon klingelt und klingelt, während Fotos von mir – aus meiner Kindheit, von der Junior High, von Tennisturnieren und den Flitterwochen in der Karibik – über den Bildschirm flimmern und eine Montage meines Lebens zeigen.
Schließlich zeigt Peter völlig entnervt auf das Telefon und
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