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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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ihre Unterstützung bei der Erinnerung an das Haus in Virginia verweigert hatte, obwohl sie wusste, wie sehr ich sie brauchte. Die stattdessen auf Nummer sicher ging, um ihre eigenen Interessen zu schützen, so lange, bis klarwurde, dass sie aufgeflogen war.
    «Ich glaube, ich bin schon genug geschädigt», erwiderte ich. «Muss ich jetzt auch noch Blindheit zu meiner Leidensliste hinzufügen? Die Menschen sind, wie sie sind. Nichts ändert sich.»
    Sie lächelte verhalten. Ihre Augenwinkel legten sich in kleine Fältchen. «Manchmal können Menschen einen überraschen.»
    «Das können Sie laut sagen.»
    «Nein. Sie missverstehen mich mit Absicht.» Sie wickelte die Haare zu einem Knoten. «Sie haben recht. Meistens sind die Menschen so, wie sie sind. Doch sobald Sie das akzeptiert haben, können Sie von diesem neuen Standpunkt aus fortfahren und weitermachen – dann können die Menschen Sie überraschen. Leute entwickeln sich weiter, Leute wachsen. Manche vielleicht nicht. Doch manche schon. Vielleicht können Sie und Peter sich gemeinsam verändern, gemeinsam lernen, einander wieder zu vertrauen.»
    Jetzt beobachte ich, wie Jasper Aarons die Kunstseiten liest, mit einer Aura von – was eigentlich? Aristokratie? Snobismus? Je ne sais quoi? Mehr denn je bin ich davon überzeugt, dass Menschen sind, wer sie eben sind – und dass mir eine einzige Momentaufnahme genügt, um auch über ihn Bescheid zu wissen.
    Jasper erspäht mich über den Rand der Schlagzeile hinweg, zerknüllt die Zeitung mit einer fast gewaltsamen Geste und wirft sie zu Boden – er überrascht mich doch. Das ist der Beweis dafür, dass ich ihn vielleicht doch nicht in einem einzigen Augenblick ganz und gar einschätzen kann. Er winkt mich zu sich, zieht den freien Stuhl am Tisch zurück und schiebt, sobald ich es mir bequem gemacht habe, ein Glas Latte und ein Hörnchen zu mir hinüber.
    «Ich hoffe, es macht dir nichts aus», beginnt er das Gespräch. «Ich habe mir erlaubt, dir etwas zu bestellen.»
    «Nein, überhaupt nicht.» Ich zupfe die Glasur von dem Hörnchen und stecke sie mir in den Mund. Auf meiner Zunge explodiert ein geschmackliches Feuerwerk aus Butter, Johannisbeere und Zucker.
    «Du fragst dich sicher, warum ich dich mit derartiger Dringlichkeit angerufen habe», fährt er fort.
    «Irgendwie schon.» Ich versuche, ihn zu studieren, mich, wie Liv es ausdrücken würde, meiner geschärften Sinne zu bedienen, um nach weiteren als nur den offensichtlichen Hinweisen zu forschen.
    «Nun, auf Drängen meines bereits erwähnten Produzentenfreundes habe ich mir dein Interview für American Profiles angesehen. Als sie im Zuge der Sendung eine kleine Auswahl von Francis’ Werken zeigten, ist mir etwas eingefallen.» Er schüttelt den Kopf. «Dein Vater hat mir etwas zur Aufbewahrung für dich gegeben. Mein Gott, was bin ich nur für ein lausiger Freund – ein Riesenidiot, der ihn absolut im Stich gelassen hat, weil ich dich nicht so im Auge behalten habe, wie ich es ihm damals versprochen hatte –, aber bitte glaube mir: Ich hatte es ehrlich vollkommen vergessen.»
    Er greift in die Umhängetasche, die über seiner Stuhllehne hängt, holt ein Skizzenbuch heraus und schiebt es zu mir hinüber. «Dein Vater wollte, dass du es bekommst. Ehe er – also – ehe er ging, bat er mich, es dir zu geben, sobald du alt genug dafür wärst.» Seine Hand flattert durch die Luft. «Ich bin wohl wirklich alt geworden.»
    «Was hast du eigentlich all die Jahre gemacht?», frage ich, als würde das irgendeine Rolle spielen. Aber ich sehe jetzt näher hin, seziere die Dinge, wie es ein Medizinstudent täte, beuge mich über die Leichen, die ich in meinem alten Leben zurückgelassen habe.
    «Gemalt. Geheiratet. Entzug. Scheidung. Das Ganze wieder von vorne. Immer wieder von vorne», sagt er lächelnd, doch es kommt nicht von Herzen.
    «Das tut mir leid. Dämonen können ganz schön hart sein.»
    «Das wusste niemand besser als dein Vater.»
    «Wie bitte?»
    «Ach nein, nichts», sagt er. «Ich meine damit lediglich, dass wir Künstler gewissermaßen gequälte Seelen sind. Indem wir malen, erzählen wir unsere Geschichte, in dem Versuch, unsere Dämonen auszutreiben. Dein Vater verstand das besser als irgendein anderer von uns.»
    «Dämonen auszutreiben?»
    «Nein.» Er lacht leise. «Zu malen, meinte ich, aber wenn ich darüber nachdenke, dann kann man es betrachten, wie man möchte.»
    «Meine Mutter hat mir auch erzählt, dass die beiden so ihre

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