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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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Probleme miteinander hatten», sage ich. «Aber wir haben alle unser Päckchen zu tragen.»
    Einen untreuen Ehemann, ein Gehirn mit Kurzschluss. Ja, ich habe meine eigenen Sorgen, vielen Dank. Ich schlage das Buch auf. «Was ist dadrin? Skizzen?»
    «Soweit ich weiß. Um ehrlich zu sein, ich habe es beiseitegelegt und mir nie richtig angesehen, weil ich wusste, dass es für dich bestimmt ist. Na ja, und dann hatte ich auf einmal mit meinen eigenen Problemen zu tun, und danach habe ich mir auch nie die Zeit genommen, einen genaueren Blick hineinzuwerfen. Ich wusste, es würde intim sein.»
    «Ist es sein Tagebuch?»
    «Nein, ein richtiges Tagebuch eigentlich nicht. Ein Skizzenbuch, aber vielleicht auch eine Art Tagebuch, falls das irgendeinen Sinn ergibt. Soweit ich mich erinnere, hast du damals selber gar nicht schlecht gemalt, also ergibt es für dich vielleicht einen Sinn. Dein Vater war der Meinung, dass du ziemlich gut gewesen bist.»
    «Nicht so gut wie er. Außerdem hätte ich mich, vor die Wahl gestellt, wahrscheinlich eher für Musik entschieden.»
    «Das lässt sich im Rückblick betrachtet leicht sagen», meint er.
    Ich erspare mir, ihn darauf hinzuweisen, dass ich über den Luxus des Rückblicks nicht verfüge.
    Er schweigt einen Augenblick und beobachtet versonnen den Barista hinter dem Tresen. «Weißt du, dein Vater hat nie sehr viel geredet. Ja, es stimmt, kaum hat man ihm ein bisschen Wodka eingeflößt, schüttete er einem sein Herz aus, aber im Grunde hat er sich über seine Arbeit ausgedrückt. Das machte ihn so umwerfend.»
    «Soll ich das so verstehen, dass er durch dieses Buch zu mir spricht?» Ich deute auf das Notizbuch mit dem ausgeblichenen grauen Einband, den abgestoßenen Ecken, den vergilbten Seiten. Grübelnd kaue ich an meinem Hörnchen.
    «Nell, du hast mich am Telefon gefragt, ob ich eine Wegbeschreibung hätte. Tja, das hier ist seine Wegbeschreibung für dich – er beschreibt, wo er gewesen ist und was er sich für dich gewünscht hat», sagt Jasper und sieht mich mit seinen unglaublich grünen Augen eindringlich an. Sein intensiver Blick bringt mich zu der Frage, wie es wohl gewesen sein muss, als er und mein Vater diese ganze phantastische Stadt in vollen Zügen eingeatmet, in sich aufgenommen haben. Mein Gott, sie müssen unglaublich gewesen sein, alle mitgerissen und angesteckt haben.
    «Und all die Jahre hast du nichts von ihm gehört? Du warst sein bester Freund!»
    «Und du seine Tochter.» Er nimmt einen Schluck Kaffee, und ich möchte wetten, dass er ihn schwarz trinkt, ohne Zucker. «Und trotzdem hast auch du nichts von ihm gehört.» Er schluckt und seufzt. Plötzlich sieht er furchtbar müde aus, alt und zerzaust, knittrig wie ein chinesischer Faltenhund. «Hör mal, Nell, ich wünschte, die Dinge wären anders gelaufen. Ich habe weiß Gott selbst genug zu bedauern, und ja, ich wünschte, ich hätte ihn aufgehalten oder zumindest dazu gezwungen, noch einmal darüber nachzudenken. Aber dein Vater war nun mal, wie er war. Glaubst du wirklich, jemand, der so tief in sich selbst gefangen ist, wäre tatsächlich noch einmal zu einer Kehrtwende in der Lage?»
    Der Barista ruft die Bestellung eines doppelten Latte Macchiato mit Soja Light aus, und Jasper und ich verfallen angesichts der Wahrheit seiner Worte in Schweigen. Menschen ändern sich nicht, und ist ein gewisser Punkt erst einmal überschritten, dann besteht erst recht keine Hoffnung mehr.

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    16
    P eter muss länger arbeiten, und ich treffe mich mit Jamie und Samantha, die sich für eine Stunde aus dem Büro davonstiehlt, zum Pizzaessen bei Ray’s an der Ecke. Ich blättere das Notizbuch durch und versuche, hinter den Bildern irgendeinen Sinn zu entdecken. Ich wollte Anderson fragen, ob er dazukommen möchte, doch er ging nicht ans Telefon. Wahrscheinlich war er entweder betrunken, schlief gerade oder hatte seinen Agenten in der anderen Leitung.
    «Vielleicht solltest du deine Mutter anrufen und sie fragen», meint Samantha und tupft sich mit einer Serviette das Fett aus den Mundwinkeln.
    «Sie hätte mir doch davon erzählt, wenn sie was wüsste.» Ach ja? Bist du dir da auch ganz sicher?
    «Unter seltsamen Umständen tun die Menschen die seltsamsten Dinge», mischt Jamie sich ein, als hätte er meine Gedanken gelesen.
    «Was willst du damit sagen?», will Sam wissen.
    «Nur, dass ich schon oft erlebt habe, wie Leute versuchen, die Karten zu ihren Gunsten auszuspielen, anstatt sie offen auf

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