Ein Sommer und ein Tag
mischt, lässt sich vielleicht nicht ändern. Aber was geschieht, wenn man die Farbtöne ändert, ein tieferes Blau zur Hand nimmt? Die Variablen verändert, sodass sich sowohl die Gleichung selbst als auch die Lösung dieser Gleichung verändert? Früher, in meinem alten Leben, habe ich Peter nicht gebraucht, und es ist eine schlichte Tatsache, dass ich ihn jetzt brauche – hauptsächlich für Kleinigkeiten, aber auch für größere Dinge. Vielleicht ist diese Korrektur ja genug. Zu akzeptieren, dass er nicht der Einzige war, der sich verändern musste – sondern ich vielleicht auch.
«Womit Ihre Theorie widerlegt wäre.»
«Es handelt sich um eine Theorie, die sich noch im Prozess befindet und nicht in Granit gemeißelt ist.»
«In Ordnung», räumt sie ein.
«Außerdem habe ich, glaube ich, einen Hinweis gefunden. Oder etwas Ähnliches. Ich bin in der Galerie auf einen Satz Schlüssel gestoßen. Als ich sie in der Hand hielt, wusste ich, dass sie wichtig sind.»
«Inwiefern?»
«Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie mit meinem Vater zu tun. Ich hatte das Gefühl, die Schlüssel sind mit einer anderen Erinnerung verbunden, mit einer anderen Zeit, mit etwas, das ganz dicht unter der Oberfläche lauert, das ich aber noch nicht herausholen kann.»
Sie macht sich Notizen, antwortet aber nicht.
«Kann oder will?», fragt sie schließlich.
«Kann!», antworte ich genervt. «Wieso sollte ich denn nicht wollen? Ich sehe mich hier um und bin neidisch, fast grün vor Neid, weil Sie in der Lage sind, sich an Ihren Abschluss zu erinnern, an Ihre … keine Ahnung … an Ihre Kurse im Psychologiestudium!»
«Ich weiß, dass Sie sich auf der bewussten Ebene daran erinnern wollen», beschwichtigt sie mich. «Aber ich glaube nicht, dass rein zufällig fast jede Erinnerung, die Sie sich zurückerobert haben, an Ihren Vater geknüpft ist.»
«Himmel! Ich weiß, dass Sie der Meinung sind, ich sollte endlich aufhören, mich so sehr mit ihm zu beschäftigen. Aber ich glaube tatsächlich, dass er die Antwort ist.»
Sie sieht mich an. «Wieso?»
«Wieso? Wieso? Ich dachte, Sie sind die Therapeutin. Sollten Sie mir das nicht erklären können?» Ich streiche mir über meinen wunderbar farbigen Pullover, als wollte ich ein paar Fussel entfernen, aber eigentlich mehr, um ihr zu zeigen: Sieh mich an! Ich habe mich um mich gekümmert! Ich habe mich verändert! Ich habe harte Arbeit geleistet! Wieso darf ich mich nicht auf ihn konzentrieren?
«Das kann ich Ihnen nicht sagen», antwortet sie einfach. Falls sie meine Anspielungen bemerkt, ignoriert sie sie. «Weil ich nicht weiß, ob ich Ihrer Meinung bin.»
«Hören Sie!» Ich atme tief durch. «Ob es Ihnen passt oder nicht, ich muss wissen, wer er war. Weil ich glaube, dass darin der Schlüssel dazu liegt, wer ich war.»
«Nell, ich weiß, dass es schwer für Sie ist. Und vielleicht müssen wir es anders versuchen – mit einer Kunsttherapie, an der Sie kein Interesse haben. Vielleicht auch mit Musiktherapie, nachdem ich nun weiß, dass Sie eine Leidenschaft für Musik haben. Vielleicht können wir auch über Gott diskutieren, und Sie konzentrieren sich auf die Frage, warum Sie hier sind, warum Sie überlebt haben.»
«Mit Gott hat das jedenfalls nichts zu tun!» Ich schneide ihr das Wort ab und zerteile mit der Handkante die Luft.
«Schön. Dieser Standpunkt ist geklärt. Aber die Richtung, die Sie einschlagen» – sie verstummt und fängt an, auf dem Füllerdeckel herumzukauen –, «na ja, ich glaube, Sie müssen entscheiden, was wichtiger ist: die Vergangenheit loszulassen oder sie zu entschlüsseln.»
«Und was, wenn das dasselbe ist?», will ich wissen.
«Ja, was dann?», fragt sie zurück. Die Assistentin meldet sich über die Gegensprechanlage, um den nächsten Patienten anzukündigen.
Noch lange, nachdem ich mir ein Taxi genommen habe und nach Hause gefahren bin, grüble ich über Livs Einwand nach. Es ist Abendessenzeit, die Mikrowelle verkündet mit einem Ping, dass meine Käsemakkaroni fertig sind, und ich schnappe mir mein TV-Dinner und lasse mich mit einer Gabel in der Hand auf meine (rubinrote!) Couch plumpsen. Ich weiß, dass Liv nicht unrecht hat: Wenn man – buchstäblich – den Verstand verliert und das nicht Überlebbare überlebt, besteht das vorrangige Ziel darin, so tief zu graben, wie man kann, um zum innersten Kern, zum ultimativen Epizentrum vorzudringen, und das heißt vielleicht tatsächlich, den Scheinwerfer mehr auf mich selbst als
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