Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
Anne Sexton oder Sylvia Plath oder Anaïs Nin oder Isadora Duncan oder Sid Vicious oder all die anderen in der Art.
Nur dass ich das gar nicht war.
Ich war vielmehr jemand, der gegen ein Taschengeld Häuser und Kinder hütete und pünktlich zur Arbeit erschien.
Ich wäre gern unangepasster gewesen. Doch dazu fehlte mir der Mut – so einfach war das. Auf die Annehmlichkeiten meiner Gesellschaftsschicht zu verzichten, meinen ersten Roman zu schreiben, am Abend als Cocktailkellnerin zu arbeiten und spätnachts mit der U-Bahn nach Hause zu fahren … das kostete mich schon allen Mut, der mir zur Verfügung stand. Doch das hätte ich natürlich nie zugegeben. Niemals.
In der Welt, aus der ich stamme, ist es schon ein schweres Verbrechen, sich etwa nicht die Beine zu rasieren. Ein schweres Verbrechen, das ich beging und für das ich gerne bereit war zu bezahlen. Also ein Esstisch aus Pappe … Ach, was soll’s. Vielleicht werden Sie mich später verstehen, in dem Kapitel, in dem ich beschreibe, wie meine Version des Daseins als WASP aussieht. Oder vielleicht könnten Sie jetzt schon einwilligen, mir zu verzeihen, dass ich privilegiert war und trotzdem die Kühnheit besitze zu behaupten, dass ich in meinem Leben je Schmerz erfahren habe. Das wäre nett von Ihnen. Dann würde ich dieses verdammte Kapitel über die WASP-Society nämlich gar nicht erst schreiben müssen. In diesem Punkt bin ich ein wenig empfindlich. Denn ich hasse nichts mehr als das »Armes-kleines-reiches-Mädchen«-Syndrom. Dabei kann ich Ihnen versichern, dass ich unter einigen der reichsten Leute der Welt aufgewachsen bin. Und ein Schmerz ist ein Schmerz, ist ein Schmerz.
Früher pflegte ich sogar zu sagen, ich sei dankbar dafür, kein Vermögen zu besitzen. Dafür, dass es in unserer Familie keinen großen Besitz gab – der mich in Versuchung gebracht oder sogar gezwungen hätte, in jener Welt zu verbleiben. Kein Erbe in den Händen einer launischen alten Witwe, die auf eine Urenkelin bestand, die nach ihr benannt würde, oder Ähnliches! Natürlich genoss ich meistenteils die gleichen Privilegien wie meine Freunde. Aber genau betrachtet waren meine Mittel ziemlich beschränkt.
Reich war ich nur, was Porzellan, Kristall, Silber, Sofas mit stockfleckigem Chintzbezug und wackelige Mahagonimöbel anging. Kohle gab es dagegen nicht viel. Oder anders ausgedrückt: Ich würde wahrscheinlich in jeden Mayflower-Nachfahren vorbehaltenen Privatclub des Landes hineinkommen, aber ich weiß nicht genau, ob ich diesen Monat meine Therapeutin bezahlen kann. (Gerne erinnere ich übrigens meine Mutter daran, dass unsere dreizehn Vorfahren aus der Mayflower -Zeit allesamt Rebellen waren, die ihre Heimat verlassen hatten, um ein neues Leben zu beginnen.)
Mein Mann spricht gern von »vornehm, aber mittellos«.
Die Wahrheit ist, dass mir nie daran lag, reich zu werden. Oder zumindest nicht steinreich wie die anderen Familien in meiner Jugend. Ich brauchte nur so viel auf dem Konto, um den Preis dafür zahlen zu können, der Welt den Rücken zu kehren, der meine Mutter ihr ganzes Leben gewidmet hatte – natürlich mit der expliziten Absicht, auch ihre Kinder, die ungehinderten Zugang zu jener Welt genießen würden, ganz darin aufgehen zu lassen. Lässt sich das mit Geld bezahlen? Oder haben Sie diesen Preis etwa schon einmal bezahlt? Vielleicht verstehen Sie mich jetzt besser. Gut so. Ich danke Ihnen. Demnach muss ich besagtes Kapitel also nicht schreiben.
Aber ich träume immer noch von unserem kleinen Leben als Auswanderer in Allston. Wir waren so hungrig nach Drama, ohne dass in unserem Leben irgendetwas wirklich dramatisch gewesen wäre. Aber uns gefiel die Vorstellung, dass wir es erschaffen könnten. Als würden wir Filmkulissen bauen, strichen wir die Zimmer in stimmungsgeladenen Farben. Eines im Indigoblau romantischer Komödien, ein anderes in Psychothriller-Rotbraun. Beinahe hätte man uns gekündigt, nachdem wir die Küche ziegelrot angemalt und den alten Holzboden mit schwarz-weiß-gewürfeltem Linoleum bedeckt hatten. Aber hey, wir wollten eben, dass es wie in einer Sushibar aussah – rot und schwarz. Wir mochten eben Rot und Schwarz. Hach, und welche Dramen konnten sich entspinnen, wenn ein Paar über seine ganz private Sushibar verfügte.
Vielleicht übertrieben wir es mit der Vorstellung von einem primitiven Leben ein wenig. So mussten wir in der Anfangszeit in Boston bei Licht schlafen, um uns die Küchenschaben vom Leib zu halten. Und im
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