Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
anderen (untergeordneten) Ausgaben zu bestreiten, jobbten wir abends in einer beliebten Kneipe am Boston Garden, wo die Leute nach den Spielen hingingen. Der Laden nannte sich Scotch ’n Sirloin – mit Betonung auf dem ’n. Die Trinkgelder dort waren hoch, ebenso die Frisuren, die Absätze und die Klientel – tatsächlich gehörten viele zur Mannschaft der Boston Celtics. Alles sehr schnieke und lippenstiftlastig.
Aus irgendeinem Grund hielten die Eigentümer es für zwingend, dass die Cocktailkellnerinnen wie Männer angezogen waren – mit Smoking, roter Fliege und Kummerbund – die Kellner dagegen wie UPS-Fahrer – braun in braun. Meine Einschulung bestand mehr oder weniger aus einem Satz: »Du gehst an den Tisch und sagst: ›Guten Abend. Welchen Cocktail wollt ihr?‹«
»Und wenn die Leute keinen Alkohol möchten?«, fragte ich, ganz Studentin der Geisteswissenschaften.
»Dann bring sie dazu. An Sprudelwasser verdienen wir nämlich nix.«
Tagsüber brauchten wir unsere Zeit. Er musste noch ein paar Scheine am College machen, und ich hatte ein Buch zu schreiben.
Ich weigerte mich nämlich, eine zweite Karriere neben der als Cocktailkellnerin zu starten, obwohl der Druck durchaus groß war. Aber ich wusste, dass ich Schriftstellerin war. Punktum.
Es mag der Hinweis genügen, dass mich, gerade als ich versucht war, jedermanns Drängen, doch endlich eine Karriere mit dem Schreiben von Slogans für Keksfirmen zu beginnen, der ehemalige Geschäftsführer einer großen Werbeagentur aus Chicago in seinem Gartenatelier Platz nehmen ließ und mir ein paar mahnende Worte mit auf meinen Lebensweg gab.
Er zog an seiner filterlosen Camel und meinte: »Du bist eine Buchautorin. Das kann ich an dem Feuer in deinen Augen sehen, wenn du davon sprichst.« Dann deutete er mit seiner Zigarette auf mich, kniff die Augen zusammen und fügte streng hinzu: »Lass dir von niemand einreden, Schriftsteller müssten pragmatisch sein und einen Job in einer Werbeagentur annehmen! Schreib Bücher! Ich wünschte, ich hätte damals, als ich in deinem Alter war, auf mein Herz gehört.«
Und dann sagte er Worte, die bis heute zu den wichtigsten in meinem Leben gehören: »Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben, sich von den gesellschaftlichen Erwartungen unabhängig zu machen und herauszufinden, was einen wirklich glücklich macht. Denn das hier« – er streckte die Arme aus und deutete auf sein kunstvoll umgebautes Gartenhaus und den riesigen Rosengarten sowie den Rest der North Shore von Chicago
–, »das will doch der Großteil der Welt.« Er beugte sich vor, zog wieder an seiner Zigarette, sodass der Rauch ihn fast verhüllte. »Aber wenn du dir deinen eigenen Weg suchst und damit Erfolg hast … dann weiß ich, dass du ein Genie bist.«
Diese Worte habe ich mir unzählige Male ins Gedächtnis gerufen. Inzwischen ist der Mann tot. Doch er hat mir Stecklinge von seinen Storchschnabelpflanzen gegeben, die immer noch jedes Jahr in meinem Garten in Montana blühen. Und jedes Jahr versichern sie mir aufs Neue, dass ich eine Buchautorin bin und dass es mutig von mir war, das über mein Sozialprestige zu stellen. Selbst wenn ich mir in dieser Hinsicht nicht immer so sicher bin.
Angesichts unserer großen Träume und leeren Taschen entschieden wir uns – bevor wir genug Geld beisammen hätten, um die Welt zu bereisen –, es mit einer Doppelhaushälfte in Allston, Massachusetts, zu probieren. Wir waren glücklich in unserem bescheidenen Zuhause, auch wenn es etwas schäbig war. Wir wollten es sogar schäbig. Schließlich waren wir Rebellen, nicht wahr? Wenn wir schon keine fabelhaften Auswanderer sein konnten, dann würden wir wenigstens primitiv hausen.
In kürzester Zeit waren aus uns überhebliche Trottel geworden, aber darauf sind Sie vermutlich auch schon gekommen.
Das erste Kunstobjekt in unserem Wohnzimmer war ein riesiges Stück Treibholz, das wir von einem Strand bei Cape Cod heimgeschleppt hatten. Unser erster Esstisch war ein Kühlschrankkarton mit einem darüber drapierten alten Quilt, den wir bei einem Garagenflohmarkt erstanden hatten. Wir waren stolz darauf. Irgendwie hatte es aber auch der Silberleuchter meiner Urgroßmutter zu uns geschafft, und wenn er auf dem Quilt und dem Pappkarton stand, bereitete mir das ein großes
satirisches Vergnügen. Vor allem, wenn das Wachs vom Leuchter überallhin tropfte und der Tisch roch, als würde er sich gleich selbst entzünden. Ich fühlte mich unstet und dramatisch wie
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