Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
bis zur Nasenspitze und atme dreimal tief durch. Dann stelle ich mir meine Freundin vor, wie sie auf ihrem Araber sitzt und ganz in der Gegenwart lebt, so wie ihr Pferd es sie gelehrt hat. Ihren Richter und Kritiker hat sie vertrieben. Die Scham abgelegt.
Aber es ist einfach zu viel. Die Scham lastet heute Nacht zu schwer auf mir. Zäh wie ein heftiger Infekt. Ich schäme mich, weil mein Mann nicht mehr bei mir sein will. Weil meine Bücher nicht gedruckt werden. Weil wir, all unseren Träumen zum Trotz, jetzt derart verzweifelt dastehen.
Erfolg. Scham. Was macht einen erfolgreichen Erwachsenen aus? Einen erfolgreichen verheirateten Menschen? Welche Rolle hat Scham bisher in unserer Ehe gespielt? Ist es möglich, dass wir uns, obwohl wir den Standesdünkel hinter uns gelassen haben, immer noch davon bestimmen lassen? Denn so, wie wir jetzt dastehen und uns beide als Versager fühlen, haben wir unseren Erfolg an exakt den Maßstäben gemessen, gegen die wir eigentlich rebellieren wollten. Sollte es bei Erfolg nicht um Liebe gehen? Darum, wen wir lieben und wie wir lieben und wer uns liebt? Sollte dies nicht der Zeitpunkt sein, einander fest zu umarmen und sich gegen die Stürme des Lebens zu wappnen?
Mir wird wieder klar, warum ich versucht habe, diesen Erfolgsdruck zu überwinden. Weil er einen auffrisst. Zerreißt
und zerbeißt und verschlingt. Es kommt mir vor, als säße irgendwo im Zimmer ein grausamer Puppenspieler, der sich die Seele aus dem Leib lacht und sich vollgefressen und rülpsend auf seinem Stuhl zurücklehnt, nachdem er sein Werk vollendet hat. Die feisten Finger hat er sorgsam auf dem Bauch gefaltet. Wenn ich jetzt nicht endlich einschlafe und diesem Wahnsinn sofort ein Ende mache, dann werden er und Sheila es noch auf masochistische, exhibitionistische und bizarre Weise miteinander treiben. Gleich hier, in dem Schatten des Mondlichts, während ich ihnen von meiner Fensterbank aus dabei zusehen muss.
Vertrau mir. Schlaf wieder ein.
Der Gott des 4. Juli
Das Wochenende vom 4. Juli.
Der vierte Juli ist in unserer Familie ein großer Feiertag. Paraden, gebackenes Hühnchen, Maiskolben, ein eigenes Feuerwerk und dann natürlich noch das große offizielle Feuerwerk auf einem Feld jenseits der Straße. Unsere Kinder nehmen sich Schlafsäcke mit und legen sich auf das Dach des Wagens, während wir in der Autoschlange stehen und Oh und Ah rufen. Das machen wir schon seit Jahren so.
Für mich ist es aber auch der Feiertag, an dem ich meinen Vater am meisten vermisse, der zu Hause in Chicago mit seinem Jaguar E Type Cabriolet in der Parade mitzufahren pflegte. Denn schließlich hatte er sich selbst ein Traumauto zugelegt. Er winkte, tippte sich an den Hut und schaltete – alles zusammen eine graziöse Abfolge von Gesten. Die Zuschauer liebten diesen Gentleman mit silbergrauem Haar in seinem heißen Flitzer und riefen ihm zu, doch mal aufzublenden.
Mein Vater verband mit dem 4. Juli mehr als nur Patriotismus. Und das, obwohl er durchaus mit feuchten Augen mitsang, wenn der Chor der Marinebasis vor Ort auftrat, und obwohl in seinem Autokassettenrekorder an dem Tag, als er
seinen Schlaganfall erlitt, Marschmusik eingelegt war. Ihm ging es auch um Kleinstädte, Familienpicknicks und Verzauberung. Es war der Feiertag schlechthin, an dem unser wohlhabender Ort sich versammelte, öffentlich und privat. Und das brachte etwas an ihm zum Vorschein, von dem ich wusste, dass es direkt aus seiner Kindheit kam. Er identifizierte sich selbst mit diesem Tag, und in meinen Augen war er ebenfalls ganz typisch für diesen Teil seines Charakters. Es war ein Tag, um sich auf sich selbst zu besinnen. Dankbar. Und auch stolz. Stolz wie es einer typisch amerikanischen Main Street entsprach.
Und wenn er in seinem Jaguar saß und langsam dahinfuhr, wurde der 4. Juli für ihn noch ergreifender: Denn dann erzählte er davon, was in den Vereinigten Staaten von Amerika aus einem kleinen Jungen aus Granite City, Illinois, werden konnte.
Jeder, der ihn kannte, vergönnte ihm von Herzen, dass aus ihm, diesem kleinen Jungen, ein Erwachsener in diesem wunderschönen Auto geworden war.
Einmal durfte ich mit ihm in der Parade mitfahren. Auf diese Erinnerung greife ich immer dann zurück, wenn ich mich in einen glücklichen Moment versetzen will. Trotzdem sorgt die Erinnerung an diesen 4. Juli dafür, dass ich mich den ganzen Tag über bemühen muss, die Tränen fortzublinzeln.
Mein Ehemann weiß verdammt gut, dass ich am 4. Juli
Weitere Kostenlose Bücher