Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
ich das Bedürfnis danach verspüre, schreibe ich an diesem Buch wie in ein Tagebuch. Gleichzeitig muss ich die Deadlines für ein paar Zeitschriftenartikel einhalten.
Mein Mann kommt und geht wie eine Art Phantom. Dabei arbeitet er immer weniger. Weicht meinem Blick zunehmend aus. Er scheint in dem Nebel zu stecken, von dem meine rauchende Freundin auf unserer Veranda erzählt hat.
Die Kinder nehmen es offenbar hin. Aber natürlich registrieren sie, dass er sich seltsam benimmt. Sie wissen, dass es mit seiner Arbeit zu tun hat, wie ich ihnen ja gesagt habe. Sie wollen ihn gern um sich haben, begreifen aber auch, dass Angeln etwas ist, das Väter nun mal tun. Ebenso Golfspielen oder Bootfahren. Vor allem deprimierte Väter. Auch sie folgen ihrem Instinkt. Auch sie glauben an ihn. Es ist nicht so, als wäre er schon ausgezogen. Die Familie ist noch intakt, immer noch eine Quelle der Liebe zu ihm. Stabil, weil sie es anders gar nicht kennen in ihrem noch kindlichen, altersgemäß egozentrischen Weltbild.
Ich sage mir Folgendes: Alles ist besser als ihn zur Anwesenheit zu verdonnern. Dann würde er wie ein Gefangener auf der Couch hocken und Sportsendungen schauen – und meine Kinder könnten mit ansehen, wie ihr Vater ihrer Mutter, der
Gefängniswärterin, grollt. Noch schlimmer ist die Vorstellung, dass er sich allein in irgendeinem anderen Zuhause durchschlägt, das sie auch akzeptieren und sogar mögen sollten. Da müsste es noch weit kommen, meilenweit, bevor ich das auch nur in Erwägung ziehe. Meilenweit.
Letzte Nacht habe ich ihn heimkommen gehört. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, auf die Uhr zu sehen, aber jedenfalls war es spät. Die Kinder hatten beschlossen, in Schlafsäcken im Wohnzimmer zu kampieren, so hatte er das Zimmer meines Sohnes ganz für sich. Dort schlief er bis mittags. Ich brachte unseren Sohn ins Fußball-Camp, ging ein paar Lebensmittel einkaufen, organisierte eine Spielverabredung für unsere Tochter und versuchte, selbst Ruhe zu bewahren. Immer wieder ermahnte ich mich, nichts von seinem Verhalten persönlich zu nehmen. Mich nicht in Selbstmitleid zu ergehen. Mir nicht das Drehbuch, das Stück, die Szene auszumalen.
Aber es fällt mir ungeheuer schwer, das nicht zu tun.
Fantasie
ER: Kommt mit schuldbewusster, distanzierter Miene in die Küche.
ICH: Werfe ihm einen flüchtigen Blick zu und sage etwas Geistreiches und Cooles. Bist du jetzt mit deiner Geburtstagsfeier fertig?
ER: Lächelt schuldbewusst und geht an den Kühlschrank.
ICH: Lächle vielsagend, weil ich gerade einkaufen war und der Kühlschrank voll mit sommerlichen Köstlichkeiten ist. Außerdem habe ich ihn soeben sauber gemacht, Rosen gepflückt und sie in kleinen Vasen auf die sonnige Fensterbank gestellt. Auf der Kochinsel stehen drei Stiele Rittersporn. Außerdem habe ich den Vorratsschrank ausgewischt und neben meinem Schreibpensum auch
noch das ganze Haus aufgeräumt, sodass wir beide in guter Verfassung sind – das Haus und ich. Jedes Kissen liegt aufgeschüttelt an seinem Platz. Zudem trage ich ein hübsches Sommerkleid. In Wirklichkeit bin ich Donna Reed (Sie erinnern sich, aus Ist das Leben nicht schön? ).
ICH: Willst du heute mit mir zu dem Fußballturnier unseres Sohnes kommen?
ER: Na klar. Liebend gern! , sagt er und schaut mir dabei liebevoll in die Augen. Und lass uns danach mit der ganzen Familie einen Badeausflug zum See machen!
Nein! Auf dieses Spiel lasse ich mich nicht ein. Ich kümmere mich ausschließlich um das, was ich beeinflussen kann. Ich gestalte mein Leben, ich und meine Engel.
Aus folgendem Grund sollte man sich nicht zu Theaterstücken, Drehbüchern und anderen Szenen hinreißen lassen: Sie finden allesamt nur in Ihrem Kopf statt. Nicht im wirklichen Leben. Und dennoch bescheren sie Ihnen reale Schmerzen. Und genau das ist der Haken daran – Sie leiden doch nicht mehr. Erinnern Sie sich? Mit dem Leiden haben Sie doch abgeschlossen.
Das Wahre Leben
ER: Schneidet sich an der Küchentheke eine Orange auf.
ICH: Halte an der Spüle, nur ein paar Schritte von ihm entfernt, die Stellung. Erlaube mir nicht zu verzweifeln, weil ich mich nach einer Umarmung von hinten sehne. Ich liebe solche Umarmungen an der Küchenspüle, und er weiß das. Danach nicht ärgern, weil er mir diese Umarmung verwehrt.
ER: Macht sich einen Tee und schiebt sich dafür hinter mir am Spülbecken vorbei, ohne mich zu umarmen.
ICH: Erinnere mich daran, dass ich den Toaster kürzlich durch ein
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