Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
ich
mich einmische oder auf diesem Gebiet meine bescheidene Meinung kundtue. Hier hat er das Gefühl, stark zu sein. Also halte ich mich raus, obwohl ich eine Menge Ahnung vom Wasserskifahren habe.
Sie verliert das Seil.
Er beugt sich über Bord, holt es ein, wickelt es auf und gibt es mir, weil wir zu nahe am Ufer sind und er steuern muss. »Wirf es ihr zu.«
Ich werfe, und es verfehlt sie. Ich habe nicht weit genug geworfen.
Er kriegt einen Anfall. Und dann zählt er die Unzulänglichkeiten der Ehefrau von einem seiner Angelkumpel auf. »So wirft man doch kein Seil! Das macht man so.« Er schwingt es hoch durch die Luft und schleudert es dann schnell und geschickt genau zu ihr.
Was für ein Köder. Weil ich so gerne, so viel darauf erwidern würde. Ich möchte sagen: Hey, ich würde dich gern mal mit einem Zaumzeug sehen. Oder: Hör mir mal zu, du Blödmann, wie kommst du darauf, ich müsste etwas können, nur weil du es kannst?
Aber ich schweige weiter und übe mich darin, den Köder zu ignorieren, mich nicht zu ärgern. Ich lasse es an mir abprallen. Denn ich bin dann stark, wenn ich ausharre. Sehr, sehr stark. Merken Sie sich das gut. Ihn nur seinen Trotzanfall haben lassen. Und selber nur darauf achten, den Kopf einzuziehen!
Er meint, sie solle einen Kickstart mitten im See probieren. Ich halte das für keine gute Idee, sage aber nichts dazu. Sie kommt mit dem Ski nicht zurecht und beginnt zu heulen. »Ich kann das nicht!«
»Mein Gott, warum hilfst du ihr denn nicht!«, schreit er mich an.
Ich? Jemand aus unserer Familie bei etwas Sportlichem helfen? Ich dachte bis jetzt, das sei ein Tabu. Wie einmal Abbeißen von seinem Power-Sandwich.
Ich springe ins Wasser, schwimme zu ihr und versuche, den Ski in die richtige Position zu bringen. Aber sie weint, ist wütend und lässt das Seil los, bevor ich es festhalten kann.
»Vergiss es«, keift er. »Wir machen einfach einen normalen Start.«
Gerne würde ich sagen: Das hätten wir besser gleich getan , aber ich lasse es. Wie oft ich mir diesen Sommer schon auf die Zunge gebissen habe. Eine ganz neue Erfahrung für mich.
Ich klettere ins Boot zurück und setze mich wieder neben ihn.
Er wirft mir einen giftigen Blick zu und sagt (Köder): »Mein Gott, du kannst manchmal dermaßen unfähig sein.«
Das lasse ich ein, zwei Momente lang auf mich wirken.
Stelle etwas fest. Äußere ein Gefühl. Belass es dabei. Mit diesem Köder kann ich leben. Momentan. Wenn ich mit diesem Köder richtig umgehe, dann könnte ich mir meine Würde bewahren. Sogar würdevoller als vor dem Moment, in dem er es gesagt hat. Er hat mich nicht geschlagen. Wenn er das getan hätte, wäre ich vom Boot gesprungen und ans Ufer geschwommen.
In meinem Kopf geht es jedoch kein bisschen würdevoll zu. In meinem Kopf heißt es »wie du mir, so ich dir«. Wutanfall um Wutanfall.
Ich möchte erwidern: Hast du da gerade mit dir selbst gesprochen? Ich möchte jede Fähigkeit, die in mir steckt, einzeln aufzählen. Ich wünschte, er hätte gesehen, wie gut ich mich in Italien geschlagen habe. Dort war unsere Tochter drei Wochen lang gut aufgehoben, wurde gefördert und inspiriert. Und hat er etwa die eingeleitete natürliche Geburt vergessen, die ich durchgestanden habe?
Doch stattdessen probiere ich es mit der von mir gewählten Strategie.
»Unfähig?«, sage ich mit ruhiger Stimme. »Autsch.«
Ich spüre, dass er darauf wartet, was danach kommt. Er möchte Tränen zu meinem »Autsch«. Drama.
Kommt nicht in die Tüte. Tu ich nicht.
Er schaut weg. Ich weiß, dass er jetzt mit sich ringt. Dass ihm durchaus klar ist, dass er mir eine Entschuldigung schuldet, aber er bringt sie nicht über die Lippen.
Wie lange halte ich das noch durch? Ich kann’s bis zu meiner nächsten Therapiesitzung kaum erwarten. Mit Hilfe meiner Therapeutin werde ich mir ein Ultimatum überlegen.
Seltsamerweise ist er danach viel zu Hause. Eine ganze Woche lang ist es wie in alten Zeiten. Vielleicht hat er nach seinem Unfähigkeitsurteil ein gutes langes Selbstgespräch geführt. Vielleicht hat er einen guten langen Blick auf unser Gartentor geworfen.
Ich beginne schon zu glauben, dass diese Strategie zugunsten meiner Ehe funktioniert. Zumindest für mich tut sie das. Ich tauche aus dem Leid auf – bringe Sheila zum Schweigen und mache die Arbeit, von der ich weiß, dass ich sie beherrsche. Ich muss nach Freiheit streben, selbst wenn sie mir unerreichbar scheint. Und selbst wenn ich scheitern sollte. Doch ich
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