Ein Sonntag auf dem Lande
Klassen.«
Gonzague hielt darauf, klarzustellen, dass er sich auch in den unteren Klassen bemüht habe, sein Bestes zu geben.
»Ja«, sagte sein Vater, »du hast gearbeitet, aber ohne Erfolg.«
»Also«, erwiderte Gonzague, »es ist genau das Gegenteil: Der Kleine tut nichts, hat aber keine schlechten Ergebnisse.«
»Ah, gut, ich glaubte, du hättest gesagt …«
»Nein, ich sagte dir gerade im Gegenteil …«
»Ja, ja, schon gut.«
Das Missverständnis wurde umgehend aufgeklärt.
Enervierend ist das, dachte Gonzague. Der arme Vater versteht alles falsch, immer häufiger. Wenn er wenigstens taub wäre. Aber nein, er achtet nicht darauf, was man ihm sagt. Doch ich kann nicht mit ihm darüber sprechen, das würde ihm wehtun.
Gonzague ließ sich von seinem Vater anrühren, und da Emile, noch in seinen Sessel versunken, im Salon herumhing, schickte er ihn hinaus zu seinem Bruder in den Garten.
Mireille hingegen hatte man aus den Augen verloren. Nach ihrer Ankunft war sie zu Mercédès in die Küche gegangen und spielte mit verschiedenen Gerätschaften. Mercédès sprang hin und her, ohne sich um das Kind zu kümmern, reichte ihm von diesem und jenem zu essen, und wenn es ihr in die Quere kam, schob sie es wie einen Hocker mit dem Knie beiseite.
Marie-Thérèse war nicht lange in der Kirche geblieben, aber sie hatte für ihre Woche genug gehört. Sie fand die beiden Männer im Atelier, in Liegestühlen sitzend und Pfeife rauchend. Sie tauschten mit unbeteiligter Miene Sätze aus, die sie nicht wirklich interessierten.
Marie-Thérèse verfügte nahezu über alle Tugenden, verbarg diese aber sehr gut. Kaum etwas hatte Monsieur Ladmiral so erstaunt wie der Umstand, dass sein Sohn diese Frau heiratete, und er hatte sich davon nie richtig erholt. Nachdem er lange mit sich zu Rate gegangen war, zog er den Schluss, dass Gonzague und Marie-Thérèse geheiratet hatten, weil alle Welt heiratet, wie alle Welt geboren wird und stirbt. Wenn diese Erklärung das Ereignis auch nicht verständlicher machte, unterband sie immerhin alle Erörterungen, und Monsieur Ladmiral hielt sich daran. Er hatte der Existenz seiner Schwiegertochter nie große Bedeutung geschenkt und kam damit auch sehr gut zurecht. Marie-Thérèse ihrerseits hatte darüber nie nachgedacht. Sie mochte ihren Schwiegervater, aus dem einfachen Grund, weil man Familienmitglieder und auch die der Schwiegerfamilie gernhat, sofern Fragen der Selbstliebe nicht im Spiel sind, und sie war damit glücklich. Denn sie war eine glückliche Frau, gewiss. Ein wenig langsam, aber fleißig und sanftmütig. Ihre Tage hatten immer vierundzwanzig Stunden; der Haushalt lief gut. Und vor allem genoss Marie-Thérèse Tag für Tag das Glück, seit ihrer Heirat nicht mehr arbeiten zu müssen. Ihr Mann und ihre Kinder machten ihr mehr Arbeit, als sie während ihrer Jahre im Büro gehabt hatte, aber sie wusste das nicht. Sie musste ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten; das tat ein Mann für sie. Ihr Ziel war erreicht; sie hatte ihre Freundinnen, die nicht geheiratet hatten, abgehängt, sie in ihrem vielleicht komfortableren Elend zurückgelassen. Sie hatte sich eingerichtet und breitgemacht in der herrlichen Trägheit, die Ehe und Haushalt den emsigen Frauen bescheren. Ein ehelicher Gebieter ist besser als ein Patron. Marie-Thérèse fühlte sich frei, und vielleicht war sie es auch. Die Entlohnung des Ehemanns erfolgte am Monatsende, und sie reichte zum Leben, da man dieses in seinem Sinn regelte. Jedes Mal im Übrigen, wenn man hatte befürchten können, dass das Geld nicht mehr reichte, wurde Gonzague eine Gehaltserhöhung bewilligt, keine große, aber gerade ausreichend. Marie-Thérèse zählte zu den wenigen Menschen, die nie unter Geldsorgen gelitten hatten. Diese Eigenschaft verdient es, herausgestrichen zu werden, und würde genügen, um zu belegen, dass Marie-Thérèse keine gewöhnliche Frau war, allem Anschein zum Trotz. Aber der Anschein war stark – wie sich Monsieur Ladmiral einmal mehr sagte, während er höflicherweise aufstand, als seine Schwiegertochter das Atelier betrat.
Marie-Thérèse war Durchschnitt – was ihre Größe, ihr Gewicht und ihr Gesicht anging. Sie hatte ein wenig plumpe, sanftmütige Gesichtszüge, war weder schön noch hässlich, wie man es von Frauen sagt, die nicht schön sind. Aus Mangel an Zeit, Gewohnheit und vor allem Geschmack schminkte sich Marie-Thérèse kaum, und wie alle Frauen, die sich wenig schminken, schminkte sie sich
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