Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
Vom Netzwerk:
sagte ich. Ich ging zu Oriana.
    – Das ist Borell, sagte ich, wollen wir uns zu ihm setzen? Ich war ganz aufgeregt, mehr brachte ich nicht raus, und sie stand einfach auf und kam mit rüber. Ich stellte die beiden einander vor, Oriana, das ist François Borell, Monsieur Borell, das ist Oriana. Als Borell aufstand und ihr die Hand gab, leuchtete sein Gesicht auf. Er wirkte nicht lüstern oder anmaßend, er sah aus wie jemand, der mit den Augen Komplimente machen kann.
    – Und wie heißt du?
    – Oh, ach so, ich heiße Mesut.
    Ungelenk setzte ich mich Borell gegenüber, der dem Kellner etwas zurief. Kurz darauf hatten auch Oriana und ich Gläser mit grünlicher Flüssigkeit vor uns.
    Ich hatte so viele Fragen, daß ich gar nicht wußte, wo ich anfangen sollte. Was hatte er in Istanbul gemacht? Hatte er irgendwie Geld verdient? Wieso hatten alle übereinstimmend behauptet, er sei Schriftsteller, obwohl er nie etwas veröffentlicht hatte? Warum war er weg aus Istanbul? Warum konnte er akzentfrei Türkisch? Was machte er hier? Hatte er wirklich Kredit gehabt bei den Frauen im Holzhaus? War dieser elegante Gang angeboren, oder war er mal Tänzer gewesen?
    Wir ließen die Gläser aneinanderklirren, nachdem wir das Getränk mit Wasser verdünnt hatten, Yarasin, sagte Borell, und ich nahm einen Schluck von dieser Flüssigkeit, die ein wenig nach Anis schmeckte und einen tauben Geschmack im Mund hinterließ. Absinth, das wird der berühmte Absinth sein, dachte ich.
    Der Kellner brachte unser Frühstück, und Borell fragte Oriana, ob sie türkisch könne.
    Sie verstand die Frage und schüttelte den Kopf.
    – Ich kann kein Englisch, sagte er, sonst könnten wir uns auf englisch unterhalten.
    – Früher wollte ich immer werden wie Sie, platzte ich heraus. Alle haben gesagt, Sie seien Schriftsteller, ich habe oft unter Ihrem Fenster gestanden und Ihrer Schreibmaschine zugehört. Lange Zeit wollte ich auch Schriftsteller werden, doch dann habe ich herausgefunden, daß Sie noch nie etwas veröffentlicht haben.
    Er schmunzelte.
    – Ich hatte einen guten Freund in Istanbul, sagte er, einen sehr guten. Er war schon alt und hatte mal als Gesucheschreiber gearbeitet, bevor dieser Beruf ausstarb. Er saß vor dem Amt und tippte für die Leute, die nicht lesen und schreiben konnten, Suppliken, Repliken, Formulare. Ich saß gerne neben ihm und hörte seiner Schreibmaschine zu. Er mochte es zu tippen, obwohl er schon lange nicht mehr arbeitete. Mir gefiel, wie dieser eine Buchstabe hieß: das weiche g. Und es gibt kein Wort, das mit einem weichen g anfängt, ist das nicht verwunderlich? Mein Freund hieß Ya ş ar, aber er starb. Er hatte keine Familie, er war allein auf der Welt. Wie ich. Also bekam ich seine Schreibmaschine. Manchmal saß ich dann in meinem Hotel und machte die Geräusche, die er gemacht hatte.
    Er nahm sein Glas, führte es an die Lippen, und jetzt erst bemerkte ich, daß seine Hände leicht zitterten. Nachdem er sein Glas wieder abgestellt hatte, sah er Oriana zu, wie sie Butter auf das frischgebackene Brot schmierte, seine Augen blieben an ihren Händen hängen, und ich wünschte mir, er würde es vorziehen, auf ihre Titten zu gucken.
    – Womit haben Sie Geld verdient? fragte ich. Das war nicht besonders diskret, aber ich wollte es wissen, ich wollte es wissen, weil dieser Mensch eine sehr lange Zeit überlebensgroß gewesen war für mich, so voller Geheimnisse, ein so unglaublicher Antrieb für meine Phantasie, so weit weg von allem, das ich erklären konnte, und jetzt wollte ich diesen Schleier, durch den ich ihn als Kind gesehen hatte, wegreißen und sehen, was übrigblieb. Ich hatte seltsamerweise keine Bedenken, daß ich enttäuscht werden könnte.
    Er schmunzelte wieder, als würde er in Erinnerungen schwelgen.
    – Esrar, sagte er.
    Haschisch, er hatte Haschisch verkauft, Bhang, Charas, Ganja, Kif, Liamba, Grifa, Marihuana, Cannabis, Chalice, Dope, Pot, Weed, Gras, Hanf, Mary Jane, Mota. Shit, er hatte mit dem heiligen Kraut der Ekstase gehandelt. Ich bekam eine Gänsehaut.
    Mechanisch griff ich nach dem duftenden Brot und legte etwas Käse darauf. Ich hatte keinen Hunger, ich biß nicht mal ab.
    – Die Frauen im Holzhaus, sagte ich, stimmt es, daß Sie Kredit bei ihnen hatten?
    Er deutete ein Nicken an.
    – Und warum können Sie so gut Türkisch?
    – Ich habe fast fünfzehn Jahre in Istanbul gelebt.
    – Und warum sind Sie fort?
    – Je höher der Affe klettert, desto besser sieht man seinen kleinen roten

Weitere Kostenlose Bücher