Ein Spiel um Macht und Liebe
Gefallenen Engel sind auch schön, aber dumm scheint mir keiner von Ihnen.«
Er nahm ihre Hand und schob sie in seine Armbeuge, während seine grüngoldenen Augen amüsiert funkelten. »Das stimmt, aber wir sind ja auch nicht wegen der äußeren Erscheinung Freunde geworden.«
»Gibt es irgendeinen Grund, warum Sie sich zusammengetan haben und über so eine lange Zeit Freunde geblieben sind? Ich meine, abgesehen davon, daß Sie sich mögen.«
»Bei Jungen bestehen die Gruppen meist aus einem Anführer und mehreren Gefolgsleuten«, sagte er nachdenklich. »Vielleicht ist unsere Freundschaft deswegen entstanden, weil keiner von uns es je gemocht hat, von jemand anderem geführt zu werden.«
»Ich würde annehmen, daß Sie alle die geborenen Anführer sind. Jeder von Ihnen hätte doch leicht einen Kreis von Jungen unter sich haben können, die bewundernd zu ihrem Befehlshaber aufschauten.«
»Danke, nein. Rafe haßt Speichellecker, und als Erbe eines Herzogtums hat er sie angezogen wie Pferde die Schmeißfliegen. Sie kennen Nicholas –
ihn zu etwas zu bringen, das er nicht will, kommt dem Versuch gleich, dem Wind etwas zu befehlen, und doch hat er selbst keinerlei Ehrgeiz, sich Macht über andere zu verschaffen. Vielleicht zu sehr Zigeuner. Michael, glaube ich, zieht es vor, sich mit seinesgleichen zu messen, als sich mit der simplen Herrschaft über schwächere Charaktere zu begnügen.«
»Und Sie?« fragte sie, fasziniert von seiner Analyse.
»Ich? Nun, wie Nicholas hasse ich es, Befehle entgegenzunehmen, aber was mir an einer Führungsposition nicht gefällt, ist das sichtbare Element.«
»Also der geborene Spion.«
»Ich fürchte ja.« Er blickte den Pfau mißtrauisch an, der balzend vor einer wenig beeindruckten Pfauenhenne auf und ab schritt. »Bitte sprechen Sie nicht so laut. Dieses Vieh da könnte ein französischer Agent sein.«
Sie lachte, als sie die Stufen zum Kiespfad hinuntergingen. »Nicholas ist vielleicht schwer zu befehligen, aber sein Verantwortungsgefühl kann ihn dazu bringen, Dinge zu tun, denen er vielleicht lieber aus dem Weg gegangen wäre.«
Lucien warf ihr einen aufmerksamen Blick zu. »Sie befürchten, daß er Sie aus einem
Verantwortungsgefühl heraus heiratet?«
»Ein bißchen.« Es tat ihr so gut, mit jemandem über ihre Bedenken reden zu können, als daß sie sich die Chance entgehen lassen wollte, und so setzte sie zögernd hinzu: »Als er und ich unsere Abmachung damals trafen, war ich eine Fremde, und es fiel ihm leicht, mir zu drohen, meinen Ruf zu ruinieren«, sagte sie vorsichtig. »Doch als er mich schließlich langsam, aber sicher kennenlernte, hat er, denke ich, ein schlechtes Gewissen entwickelt, und sein Heiratsantrag ist das Ergebnis davon. Zuvor hat er überaus bestimmt gesagt, er wolle nie wieder heiraten. Ich kann nur hoffen, daß er es nicht irgendwann bereut.«
»Sicher nimmt Nicholas seine Verpflichtungen sehr ernst, aber selbst das würde ihn nicht dazu bringen, vor den Altar zu treten, wenn er es nicht wollte«, antwortete Lucien. »Ich kann mich nicht erinnern, daß Nicholas jemals etwas getan hat, was ihm wirklich widerstrebte. Wie der alte Earl es auch erfahren mußte. Deswegen schlugen sie sich ja gewöhnlich die Köpfe ein.«
Da der alte Gärtner drei kräftige junge Gehilfen bekommen hatte, wurden die Gärten von Tag zu Tag schöner. Clare nahm den Zorn des Gärtners in Kauf und pflückte eine rote Tulpe. »Wie war Nicholas’ Großvater denn so? Ich habe ihn ja nie kennengelernt.«
»Ein schwieriger Mensch. Seine Haltung Nicholas gegenüber war überaus vielschichtig, Wärme war jedoch niemals darin enthalten. Sie wären sicher besser miteinander ausgekommen, wenn Nicholas vor ihm gebuckelt hätte, aber obwohl er stets höflich geblieben ist, konnte er einem das Gefühl vermitteln…. nicht wirklich da zu sein.«
»Ich weiß genau, was Sie meinen«, erwiderte sie und dachte daran, wie er sich seit ein paar Tagen verhielt. »Es macht einen ziemlich verrückt.«
»Seinen Großvater hat es bestimmt verrückt gemacht.«
Ihr Spaziergang hatte sie zum Steingarten geführt, und als sie den gewundenen Pfad entlanggingen, begann eine Pfauenhenne in einem Baum in der Nähe laut zu kreischen. Clare musterte den Vogel mißbilligend. »Die männlichen Exemplare sind zwar sehr hübsch, aber die Art, wie die Weibchen schreien, führt mich in Versuchung, einmal mit Pfauenfrikassee zu experimentieren. Wenn ich überhaupt jemals an diese Tiere gedacht habe,
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