Ein Spiel um Macht und Liebe
aufzuopfern; ihre jetzige Lage hatte sie nur sich selbst und ihrem eigenen Pflichtbewußtsein zuzuschreiben.
Der Gedanke an Flucht kühlte ihre fiebrigen Gedanken ein wenig ab. Der Earl war bereit, Dinge zu tun, die Hunderten von Menschen zugute kommen würden, und es wäre der reine Wahnsinn, all das nur wegen einer
altjüngferlichen Nervenkrise aufzugeben. Sie reagierte einfach sehr heftig auf etwas, das nichts als eine neue, allerdings aufrüttelnde Erfahrung gewesen war; morgen würde sie für seine Verführungskünste schon nicht mehr so empfänglich sein.
Nachdem sie sich entkleidet und ihr Flanellnachthemd angezogen hatte, flocht sie ihr Haar zu einem dicken Zopf, kletterte in das riesige Bett und befahl sich, einzuschlafen.
Schließlich würde sieihre ganze Kraft brauchen, um sich gegen den Teufelsgrafen behaupten zu können.
Nicholas stand vor dem Kamin und blickte müßig in die sterbende Glut. Das Haus kam ihm nicht mehr so bedrückend vor, seit sie hier war, aber dafür hatte sie eine beunruhigende Wirkung auf ihn. Vielleicht lag es ja nur daran, daß er es nicht gewöhnt war, mit solcher Unschuld umzugehen.
Die Kombination aus Unerfahrenheit und kühlem, praktischen Denken, die Clares Wesen ausmachte, war seltsam liebenswert. Und einen kurzen Augenblick lang hatte sie sich seiner Liebkosung hingegeben, war so biegsam wie eine Weide im warmen Sommerwind geworden. Bis ihr Verstand wieder eingesetzt hatte.
Er wollte derjenige sein, der sie lehrte, daß Verlangen keine Sünde war. Und er wollte es verdammt noch mal am liebsten schon in dieser Nacht tun.
Während er mit den Finger unruhig auf das Kaminsims trommelte, verfluchte er die Abmachung, die ihn daran hinderte, vor morgen den nächsten Verführungsversuch zu machen. Die Erinnerung an Clares staunende Augen und ihre seidige Haut würde es ihm schwer machen, Schlaf zu finden.
Plötzlich legte er den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. Vielleicht verärgerte ihn ihre Zurückweisung ja, vielleicht benahm er sich wie ein enttäuschter Liebhaber, aber er fühlte sich auch lebendiger als je zuvor. Und das hatte er diesem Methodisten-Biest zu verdanken.
Leise öffnete Clare die Tür der Dorfschule und betrat den hinteren Teil des schlichten, weißgetünchten Raumes. Die meisten Schüler arbeiteten für sich, während Marged den jüngsten mit gedämpfter Stimme Rechnen beibrachte.
Als Clare eintrat, wandten sich die Köpfe, und sie hörte Geflüster und Kichern. Auch Marged blickte auf. Mit einem Lächeln ergab sie sich dem Unvermeidlichen. »Zeit zur Mittagspause. Sagt Miss Morgan hallo, und dann raus mit euch.«
Erlöst umringten die Kinder Clare, als wäre sie schon Monate und nicht erst etwas mehr als einen Tag fort gewesen. Sie ließ sich stürmisch begrüßen und gab die angemessenen
Kommentare (»Oh, du kannst jetzt also auch subtrahieren, lanto? Das ist ja wunderbar.«), dann ging sie zu ihrer Freundin und umarmte sie.
»Wie läuft es?«
Lachend hockte sich Marged auf die Kante des zerschrammten Tisches. »Gestern dachte ich, ich überleb’ den Tag nicht. Wenn du hiergewesen wärest, hätte ich dich auf den Knien angefleht, mir die Kinder wieder abzunehmen. Aber heute geht es besser. Noch zwei Wochen, und ich denke, ich hab’ den Bogen raus.« Sie drehte sich eine Locke ihres hellen Haares um den Finger, während sie nach den richtigen Worten suchte.
»Es ist harte Arbeit, aber auch so befriedigend, wenn ich einem Kind etwas erkläre und sich sein Gesicht plötzlich erhellt, weil es verstanden hat.
Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll.«
Sie lachte etwas verlegen. »Aber du kennst das natürlich.«
Es versetzte Clare einen Stich, als sie sich eingestehen mußte, daß sie selbst seit Jahren nicht mehr ein solches Vergnügen am Unterrichten empfunden hatte – und das, obwohl sie leidenschaftlich an den Sinn und Wert der Schulbildung glaubte. Zu oft hatte sie sich im stillen bei der Routine, den ständigen Wiederholungen gelangweilt. Vielleicht war das der Grund, warum sie es so genoß, von Nicholas gefordert zu werden; es machte wirklich Spaß, Verstand und Schlagfertigkeit mit einem intelligenten Erwachsenen zu messen, der nicht vorauszuberechnen war.
Diese Gedanken impften ihr ein leichtes Schuldgefühl ein. »Lord Aberdare will sich selbst von den Arbeitsbedingungen in der Mine überzeugen, und er möchte nicht unbedingt George Madoc als Führer dazu. Meinst du, Owen wäre bereit, ihm die Grube zu
Weitere Kostenlose Bücher