Ein Spiel um Macht und Liebe
Seele drangen.
König der Könige, Herr aller Herren… Religiöser Glaube und Leidenschaft, Schönheit und Liebe, Sinnlichkeit und Zärtlichkeit, das Heilige und das Profane – all das war nun untrennbar miteinander verschmolzen und trieb ihr Tränen der Sehnsucht in die Augen. Für immer und ewig…
Es mochte Blasphemie sein, diese Gefühle zu verbinden, aber sie konnte sie nicht mehr trennen, genauso wenig wie sie hätte sagen können, was noch zu ihrem und was schon zu Nicholas’ Körper gehörte. In diesem Augenblick existierte sie einfach nur noch und brauchte und wollte vom Leben nicht mehr.
Als der Chor verklang, spielte die Orgel ein brausendes Solo, das die alten Steine der Abbey zu lockern drohte. Langsam löste sich Clare aus ihrem Trancezustand. Sie öffnete die Augen und sah zwei Ladys vorübergehen, die sie finster musterten. Ihr Blick erinnerte sie daran, daß Nicholas’ Arm immer noch um ihre Taille lag, und so löste sie sich widerstrebend von ihm.
Sie drehte sich zu ihm um, sah ihn an und konnte nicht mehr wegsehen. »Ich habe immer schon gedacht, daß die Hölle durch das Fehlen von Musik gekennzeichnet sein muß«, sagte er sanft.
Das Gefühl der Nähe, einer intensiven Verbundenheit pulsierte zwischen ihnen. Und irgend etwas an ihm war anders. Sie brauchte eine Weile, um zu erkennen, daß sein Gesicht zum ersten Mal wirklich offen war. Normalerweise versteckten seine Schlagfertigkeit und sein absichtlich oberflächliches Gehabe die Tatsache, daß er sein wahres Ich zurückhielt, aber nun war die Maske, die ihn schützte, verschwunden. Was sie in seinen Augen entdeckte, war
Verwundbarkeit, und sie überlegte, wie lange es wohl her war, daß er jemanden freiwillig so tief in seine Persönlichkeit hatte hineinblicken lassen.
Wenn er es überhaupt jemals zugelassen hatte.
Dann fragte sie sich plötzlich, was er in ihren Augen sehen mochte. Voller Unbehagen schaute sie weg und zerriß so das Band zwischen ihnen.
Sie mußte sich räuspern, bevor sie etwas hervorbringen konnte. »Das war wundervoll. Und Sie hatten recht – es war wirklich die sinnlichste Erfahrung meines Lebens.«
»Und ganz entschieden ehrbar.« Er bot ihr seinen Arm.
Clare spürte immer noch die Wärme dieses Armes, der um ihrer Taille gelegen hatte. Sie ließ ihre Hand in seine Armbeuge gleiten, und sie verließen schweigend die Kirche. Nach dem Chor konnte alles andere nur die erhabene Stimmung zerstören.
Draußen jagte ein frischer Wind Wolkenfetzen über den Himmel. Nicholas winkte dem Wagen, und kurz darauf schlängelten sie sich durch den Westminster-Verkehr. Die ruhigen Straßen des vornehmen Mayfair-Viertels waren eine echte Erholung dagegen, und Clare freute sich darauf, nach Hause zu kommen. Ja, vielleicht würde sie sich nach der Aufregung bei der Schneiderin und in der Kirche sogar den Luxus eines Nickerchens gönnen.
Nicholas waren indes die Überraschungen noch nicht ausgegangen. Als sie durch eine ruhige Wohngegend fuhren, zügelte er plötzlich die Pferde vor einem Haus. »Ah, das sieht ja so aus, als ob die Familie anwesend ist.«
Wieder reichte er dem Diener die Zügel, sprang leichtfüßig aufs Pflaster und streckte den Arm aus, um Clare zu helfen.
»Wer ist anwesend?« fragte sie, als sie neben ihm auf der Straße stand.
Mit leuchtenden Augen führte er sie die Stufen hinauf und schlug mit dem Löwenkopfklopfer gegen die Tür. »Na, meine gute alte Granny!«
Granny. Großmutter? Aber die Mutter seines Vaters war doch schon vor Jahren gestorben, und falls seine Zigeunergroßmutter noch lebte, dann würde sie wohl kaum in einem Haus in Mayfair residieren.
Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag, als die Tür aufschwang. Entsetzt begriff Clare, daß er von der jungen Witwe seines Großvaters sprechen mußte: Emily, Countess of Aberdare – die Frau, von der man allgemein annahm, sie sei Nicholas’ Geliebte gewesen. Die Frau, die die Ursache eines üblen Skandals gewesen war, der zwei Leben gefordert hatte.
Kapitel 14
ALS CLARE MIT Nicholas das Haus betrat, empfand sie den ausgeprägt unchristlichen Drang, ihm den Hals umzudrehen. Es war in Penreith allgemein bekannt, daß ein Diener Nicholas in jener Nacht im Schlafzimmer der Countess vorgefunden hatte, als der alte Earl und Caroline umgekommen waren. Trotz dieser Tatsache hatte sich in Clare etwas gesträubt, die offensichtliche Schlußfolgerung daraus zu ziehen. Obwohl sie sich damals einfach eingeredet hatte, sie wäre nur unparteiisch,
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