Ein Spiel um Macht und Liebe
und dieser kletterte hinten auf die Kutsche.
Als sie sich in den Londoner Verkehr stürzten, fragte Clare mißtrauisch: »Wollen Sie mich zu einer… einer Art Orgie verleiten?«
»Aber Clare!« Er warf ihr einen mißbilligenden Blick zu. »Was wissen Sie denn über Orgien?«
»Nicht viel. Nur, daß sie schlecht und verderbt sind und von einer Anzahl Personen veranstaltet werden, die sich wie Tiere benehmen«, sagte sie beißend.
Er lachte. »Keine schlechte Definition. Natürlich gibt es alle möglichen Arten von Orgien, doch ich denke, es bedarf mindestens dreier Parteien, um diese Bezeichnung zu verdienen. Allerdings müssen nicht alle notwendigerweise menschlich sein.«
Während Clare noch mit ihrer Verlegenheit kämpfte, kam ein Karren aus einer Seitenstraße geschossen und wäre fast mit ihnen
zusammengestoßen. Geschickt wich Nicholas aus, doch dem schmierigen Cockney reichte das nicht.
Mit einer dicken, erloschenen Zigarre zwischen den Lippen stieß er einen Schwall von Flüchen aus, die sich auf verdammte geschniegelte Lackaffen bezogen, die glaubten, die Straße würde ihnen gehören.
»Was für ein unangenehmer Zeitgenosse«, bemerkte Nicholas. »Dem muß man ein paar Manieren beibringen.«
Mit einem kräftigen Ruck des Handgelenks ließ Nicholas die Peitsche vorschnellen, und die Zigarre war aus dem Mund des Karrenlenkers verschwunden. Verdattert schielte der Cockney auf den ausgefransten Stummel zwischen seinen Lippen.
Beeindruckt, aber auch entsetzt, keuchte Clare auf. »Lieber Himmel, wenn Sie danebengetroffen hätten, hätte der Mann ein Auge verlieren können.«
»Ich treffe nie daneben«, sagte Nicholas ruhig. Er ließ die Peitsche erneut knallen, und die Mütze des Karrenlenkers segelte durch die Luft, um in Clares Schoß zu landen. Sie hatte zwar einen schwachen Luftzug gespürt, aber die rasche Bewegung der Peitsche nicht sehen können.
In stummer Faszination starrte Clare auf die zerknautschte Mütze. »Es heißt, daß ein Mann, der gut mit der Peitsche umzugehen weiß, eine Fliege vom Führpferd seines Gespanns schlagen kann«, erklärte Nicholas, »aber es gibt nur sehr wenige, die das wirklich fertigbringen.« Die Peitsche knallte wieder, und die Mütze wirbelte zurück durch die Luft, um erneut auf dem Schädel des vollkommen verwirrten Karrenkutschers zu landen. »Ich bin übrigens einer dieser wenigen.«
Nachdem seine Vorstellung vorbei war, fädelte Nicholas ihren Wagen wieder in den Verkehr ein.
»Um auf das faszinierende Thema der Orgien zurückzukommen – es ist eine ziemlich verbreitete männliche Phantasie, mit zwei Frauen zugleich ins Bett zu gehen. Nun, eigentlich ist der Ausdruck ›ins Bett gehen‹ unpassend, denn meistens braucht man soviel Platz, daß man auf dem Boden endet. Da ich ein wißbegieriger Mensch bin, habe ich einmal beschlossen, diese Phantasie auszuleben. Ich nehme an, man könnte dies dann schon als Orgie bezeichnen.« Er lenkte den Wagen in eine breitere Straße. »Wissen Sie, was mir von dieser Orgie am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist?«
Clare, puterrot, preßte sich die Hände über die Ohren. »Ich will davon nichts mehr hören!«
Ihren Protest ignorierend, fuhr Nicholas genüßlich fort: »Teppiche scheuern an den Knien, daran erinnere ich mich. Damit sich ja keine der Damen langweilte, mußte ich permanent hin und her krabbeln. Es war ziemlich erschöpfend, und ich habe eine Woche lang gehinkt.« Er hielt nachdenklich inne. »Außerdem hat es mich gelehrt, daß Phantasien auch besser solche bleiben sollten.«
Clare brach in hilfloses Gelächter aus. »Sie sind einfach unmöglich«, keuchte sie, während sie nach Luft schnappte. Wirklich, nur Nicholas schaffte es, eine hoffnungslos obszöne Geschichte in etwas Lustiges umzuwandeln. Vielleicht würde sein »sinnlichstes Erlebnis« am Ende doch nicht so gräßlich werden.
Daß er vor einer gewaltigen gotischen Kirche anhielt, überraschte sie dann aber doch. Sie erkannte das Gebäude von einem Kupferstich, den sie einmal gesehen hatte. »Aber das ist doch Westminster Abbey!«
Nicholas warf die Zügel dem Diener zu, dann half er Clare aus dem Wagen. »Recht haben Sie.«
Eine Weile standen sie nur da, während ihr verzückter Blick über die Fassade glitt und sie jede Einzelheit in sich aufnahm. Kein Abbild konnte der Pracht und der Ausdruckskraft der Struktur gerecht werden. Jede Linie der Kirche und ihrer Zwillingstürme strebte zum Himmel –
ein wortloser Tribut an den Glauben
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