Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
Hose an. Er musste nachdenken, und das war nicht möglich, wenn er neben der nackten Phillippa lag.
Leise schlich er ins Arbeitszimmer und schloss die Tür. Sofort fiel sein Blick auf den Umhang und den Morgenmantel, die auf dem Boden lagen. Seine Gedanken flüchteten sich in die Erinnerung, wie sie das Zimmer durchquert und ihn so leidenschaftlich geküsst hatte.
Nun, mit solchen Erinnerungen würde er auch keinen klaren Gedanken fassen können.
Er schnappte sich den Morgenmantel und zog ihn an. Zögernd griff er nach Phillippas dunklem Samtcape, faltete es zusammen und hängte es an der Garderobe hinter der Tür auf, neben seinem Hut. Sieht gut aus, dachte er, so als gehörte es zusammen.
Marcus stocherte in dem ersterbenden Feuer herum, das nur noch wenig Wärme spendete, als die Tür in seinem Rücken geöffnet wurde und, sehr zu seiner Überraschung, Byrne eintrat – durchnässt bis auf die Knochen und mit einem Lächeln auf den Lippen.
»Ist schreckliches Wetter draußen, mein Bruder«, verkündete Byrne, als er ins Zimmer stapfte und sich aus den nassen, verschmutzten Stiefeln befreite.
»Schscht!«, zischte Marcus. Unwillkürlich flog sein Blick zur Schlafzimmertür.
»Warum? Marcus, ich habe großartige Neuigkeiten!«, rief Byrne und befreite sich aus dem nassen Umhang, den er zum Trocknen über den Kaminrost hängte.
»Und ich habe, äh, Nachbarn«, erwiderte Marcus und warf einen raschen Blick auf die Uhr auf dem Sims. »Es ist drei Uhr morgens.«
»Ich weiß. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich so schnell Erfolge einstellen.« Byrne schlug Marcus auf die Schulter, was ihn vor Schmerz aufknurren ließ. »Oh, tut mir leid, das hatte ich vergessen.« Byrne grinste ihn an, war begeistert wie zuvor.
»Du scheinst in prächtiger Stimmung zu sein«, spottete Marcus und bemerkte, wie energiegeladen sein Bruder war und wie strahlend sein Blick. Die Opiate, für die Byrne eine Vorliebe entwickelt hatte, neigten eigentlich dazu, ihn behäbig und mürrisch zu machen.
»Das bin ich in der Tat. Mein Bein schmerzt höllisch, weshalb ich mich kurz fasse. Und wenn du recht hast, Marcus, dann hast du einfach recht. Das ist alles.«
Großartig. Wortspiele aus dem Munde eines durchnässten, schmerzgeplagten Drogenabhängigen, der vor Lebenslust zu bersten schien. »Und womit genau hatte ich recht?«
»Dass ich, Blue Raven, die Sache am Ende retten würde«, entgegnete Byrne fröhlich. »Ich habe Meggie gefunden.«
Marcus richtete sich auf. »Hast du? Wie denn?«
»Allzu schwer war es nicht. Ich musste nur das richtige Wort in das richtige Ohr flüstern und eine Münze in die richtige Hand drücken. Ich erwähnte, dass ich früher mal als Kunde bei ihr war und dass sie mir gefallen hat. Sie hat sich sehr lange versteckt, ohne Geld, sodass sie bereit war, beinahe jedem zu Diensten zu sein.«
»Charmant. Und was hat sie gesagt?«
Byrne beugte sich vor. »Nicht nur, dass sie den Franzmann gesehen hat, wie Johnny Dicks und sie ihn nannten, sondern sie ist ihm auch noch gefolgt. Und sie hat ihm die Liste aus der Tasche gestohlen.«
Marcus beugte sich ebenfalls vor. »Sie konnte dir also sagen, in welche Richtung er verschwunden ist.«
»Besser. Meggie sagte, er sei in eine Kutsche mit einem Wappen auf der Tür gestiegen. Sie hat zwar nur einen Teil davon gesehen, würde es aber wiedererkennen.«
Marcus stand auf und marschierte hin und her. »In Whitechapel kann Meggie nicht bleiben. Er hat Johnny Dicks gefunden und getötet. Er wird sie finden, jetzt da sie ihr Versteck verlassen hat, um sich mit dir zu treffen.«
»Nur ruhig Blut. Ich habe schon ein neues Versteck für sie gefunden«, erwiderte Byrne und rollte seinen Stock zwischen den Fingern. Marcus wusste Bescheid – das war der Hinweis, dass der Schmerz im Bein seines Bruders sich verschlimmerte. »Ich habe sie zu Graham gebracht. Die Haushälterin Mrs. Riddle hatte schon immer ein Herz für mich. Meggie erwähnte, dass sie früher mal in einer Spülküche gearbeitet hat. Dort ist sie also in Sicherheit, solange sie meinen Befehl befolgt und das Haus nicht verlässt. Hatte ich dir nicht gesagt, dass ich es schaffen kann?« Byrne grinste. »Das gehört doch zu Blue Ravens vorzüglichsten Talenten.«
Marcus marschierte noch einen Moment länger auf und ab, während er sich die Informationen durch den Kopf gehen ließ.
»Morgen fahren wir mit ihr in den Park, und zwar in einer geschlossenen Kutsche. Dann werden wir sehen, ob sie das Wappen
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