Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
Unterstützung finden. Nun, damit hatte er gerechnet. Und das Kriegsamt war der Meinung, es wäre eigentlich besser, er würde sich in der Irrenanstalt Bedlam erholen. Diese Haltung war enttäuschend, wenn auch nicht vollkommen unerwartet. Aber Fieldstone persönlich hatte eine Untersuchung versprochen, und Worth selbst war aus den Ermittlungen nicht ausgeschlossen. Mehr brauchte er nicht.
Bevor Fieldstone das Amt für Kriegsangelegenheiten übernommen hatte, war er ein verdammt guter Ermittler gewesen. Einer, der den richtigen Leuten die richtigen Fragen gestellt hatte. Und falls Marcus in der Zwischenzeit doch etwas Unvorhergesehenes zustoßen sollte – nun, er war felsenfest davon überzeugt, darauf vorbereitet zu sein. Niemals nahm er eine Operation in Angriff, ohne einen zweiten Plan in der Hinterhand zu haben. Oder ohne jemanden, dem er vertraute.
Unglücklicherweise war er diesmal durch die Umstände gezwungen, sich jemandem zu offenbaren, den er als nicht ganz und gar vertrauenswürdig einstufte.
Er ging hinüber zum Sarkophag, den er mit Leichtigkeit öffnete, und schaute auf Phillippa Benning herunter, die mit gekreuzten Händen dalag, die Augen geschlossen hatte und jetzt mit noch mehr Staub bedeckt war als zuvor. Beinahe unschuldig sah sie aus und natürlich auch ein klein wenig tot. Aber Gottes Segen möge mit ihr sein, dachte Marcus, denn er konnte ihr ansehen, dass sie jedes Wort mitbekommen hatte.
»Ich bin’s nur«, sagte er mit einer Stimme, die ein bisschen verdrießlicher klang als beabsichtigt. »Kürzlich irgendwelche interessanten Gespräche belauscht?«
Sie schlug die Augen auf, suchte seinen Blick und hielt ihn fest. Ihr Blick war irgendwie sonderbar, so als versuchte sie, sich an etwas zu erinnern. Aber mit Fragen durfte er sich jetzt nicht aufhalten.
»Um Himmels willen, ich bin es doch nur. Stehen Sie auf, uns bleibt nicht viel Zeit.« Er reichte ihr die Hand, zog sie hoch und half ihr heraus. »Ich fürchte, Ihr Kleid ist nicht mehr zu retten. Wir schaffen Sie zur Hintertür hinaus. Und noch was, Mrs. Benning. Es versteht sich, dass Sie gut daran tun, schnellstens zu vergessen, was Sie heute Nacht gehört und gesehen haben.«
»Warum? Weil ich als Sympathisantin der Franzosen verhaftet werde, wenn ich es jemandem erzähle?« Sie lächelte seltsam.
Marcus zog eine Braue hoch. »Das wäre eine Möglichkeit. Aber ich möchte Sie viel mehr vor dem warnen, was es mit sich bringen könnte, wenn Sie erklären müssten, wie Sie an solche Informationen gelangt sind. Ich befürchte nämlich, dass es viel mehr Leute gibt, die sich dafür interessieren könnten, wie Sie eigentlich überhaupt erst in den Sarkophag gekommen sind, als dafür, was Sie drinnen belauschen konnten.«
»Oh«, stieß sie aus und sah ein paar Sekunden lang niedergeschlagen aus, so sehr traf es sie, dass er mit seiner Unterstellung recht hatte. »Machen Sie sich keine Sorgen, Sir. Ich bin nur zu bereit zu vergessen, was ich gehört habe. Vielleicht darf ich darauf hoffen, dass Sie es umgekehrt genauso halten?«
»Ich vergesse Ihr Geheimnis, Sie vergessen meins?«
»Klingt fair und vernünftig. Sogar höflich.«
Marcus hatte die Hand bereits auf den Türknauf gelegt. Bei ihren Worten drehte er sich allerdings um und lächelte. »Sehen Sie? Das war doch ganz einfach. Wie ich sagte, der beste Weg, sich meines Schweigens zu versichern, besteht darin … «
»Worin?«
»Nun ja, mich höflich zu fragen.«
Drei Minuten später – ungefähr zur selben Zeit, als Lord Fieldstones Lakai die Bibliothekstür erreichte und sie nicht nur leicht angelehnt vorfand, sondern auch eine lange Staubspur, die den Korridor hinunterführte – stieg Phillippa rasch in die Mietkutsche, die am Gartentor der Fieldstones wartete. Aber plötzlich war es nicht mehr wichtig, dass ihr Kleid und ihre Frisur vollkommen ruiniert waren und dass es sich bei der Kutsche nicht um ihren weichen, aufgepolsterten Wagen handelte. Viel zu sehr staunte sie noch über das, was sie gehört hatte, und über die Folgen, die es mit sich brachte.
Entsprach das alles der Wahrheit?
Konnte es wirklich möglich sein?
Verbarg sich in dem unverdächtigen, unauffälligen und überraschend umgänglichen Marcus Worth tatsächlich … Blue Raven?
8
Seine Heldentaten waren legendär. Während des Krieges hatten die Zeitungen von detaillierten Berichten über seine Taten nur so gestrotzt. Über seine Tapferkeit. Seinen Ruhm. Er war dafür berüchtigt, so viele
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