Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
gewinnt man den Eindruck, dass es ihr überhaupt nichts ausmacht, mit dem zweitgeborenen Sohn zu tanzen anstatt mit dem Marquis. Nur selten habe ich jemanden gesehen, der auf so würdevolle Art gelassen bleibt.« Als Phillippa die Brauen hochzog, fügte die Gesellschafterin hinzu: »Außer dir natürlich, meine Liebe.«
»Lady Jane ist viel zu fade, um überhaupt Würde und Eleganz für sich beanspruchen zu können. Außerdem kann sie mit Mr. Worths Tanzkünsten nicht unbedingt glücklich gewesen sein.«
»Ehrlich gesagt, er hat sich ganz tapfer geschlagen«, gab Totty gähnend zurück, denn es war immer noch sehr früh für sie.
»Wirklich? Aber er ist doch so groß! Es muss unbeholfen ausgesehen haben«, grübelte sie.
»Darling, um die Wahrheit zu sagen, ich weiß es gar nicht so genau. Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich den ganzen Abend über Lady Janes Tanzpartner im Blick behalte.«
Totty hatte ihr herzhaftes Frühstück aus Tee, Tomatensaft und Alkohol beendet und schenkte ihre Aufmerksamkeit dem Stapel vormittäglicher Einladungen, während Phillippa sich nachdenklich an die Zähne tippte, obwohl sie doch genau wusste, dass es sich dabei um eine ungebührliche Angewohnheit handelte.
Aber wer wirklich tief in Gedanken versunken war, neigte eben manchmal dazu, sich an die Zähne zu tippen.
Sie sollte sich einfach nicht so sehr den Kopf zerbrechen. Wen kümmerte es, ob Marcus Worth Englands Spion Nummer eins gegen die Franzosen war? Der Krieg war zwei Mal beendet worden, und sein Name, das hieß, sein Pseudonym, bevölkerte nicht länger die Zeitungen. Sie hatte keinen Anlass, seinem Tun und Lassen irgendwelche Aufmerksamkeit zu widmen.
Aber was hatte ihn nur dazu getrieben, mit Lady Jane zu tanzen?
Hör auf, Philly!, rief sie sich entschlossen zu, was kümmert es dich, mit wem Lady Jane getanzt hat? Es war doch viel interessanter, mit wem sie nicht getanzt hatte. Namentlich Broughton. Er hatte getan, was sie verlangt hatte, und den Tanz mit Lady Jane verweigert. Was ihr ein langsames, aber selbstgewisses Lächeln auf die Lippen zauberte. Broughton hatte das Spiel auf bewundernswerte Weise gespielt; es war an ihm, die nächste Herausforderung zu formulieren. Phillippa verspürte einen kleinen Schauder der Angst, was diese Herausforderung wohl enthalten würde. Aber alles in allem verlief die Saison nach Plan. Daher durfte sie es nicht zulassen, ihre Aufmerksamkeit zu jemandem abschweifen zu lassen, der unbedeutend und dessen geheime Identität nicht bewiesen war.
»Deine Mutter schreibt«, fuhr Mrs. Tottendale mit hochgezogenen Brauen fort, als sie einen Brief überflog, »dass du nicht dieselben Musiker wie letztes Jahr buchen sollst. Die Leute waren nicht mehr als ein mattes Licht auf einer ansonsten strahlenden Gesellschaft.«
»Gesellschaft?«, fragte Phillippa zurück und konzentrierte sich wieder auf das Frühstückszimmer.
Totty schaute auf und legte den Brief zur Seite. »Der Ball, meine Liebe.« Sie schlug sich auf die Stirn, als Phillippa sie verständnislos anstarrte. »Der Ball der Bennings! Phillippa, es sind nur noch knapp zwei Monate bis dahin. Jetzt sag mir nicht, dass du es vergessen hast. Du vergisst doch sonst nie etwas!«
Phillippa spürte, wie ihr die Farbe in die Wangen stieg und wie die Scham sich unter das Entsetzen über ihre Gedankenlosigkeit mischte.
Sie hatte es vergessen. Der Benning-Ball zählte zu den ersten geselligen Anlässen des Jahres. Wellington und der Prinzregent persönlich wetteiferten um Einladungen. Anfangs, als sie nach ihrem Trauerjahr wieder in der Gesellschaft aufgetaucht war, hatte ihre Mutter darauf bestanden, dass Phillippa einen Ball veranstaltete – und das war genau richtig gewesen. Damals war die Viscountess ihr eine große Hilfe gewesen. Doch mit Phillippas anwachsender Beliebtheit schien es, als würde ihre Mutter sich zurückziehen und ihr die gesamte Angelegenheit überlassen wollen. An einem festgelegten Tag würden ihre Familie und der Rest der Welt für das Ereignis in die Stadt hinabsteigen, und sie trug die Verantwortung für alles. Von dem Motto des Balls über die Farbe der Servietten bis zu den Belustigungen kümmerte sie sich um jedes Detail. Die Musik offenbar ausgenommen.
»Natürlich habe ich es nicht vergessen, Totty. Aber ich bin davon ausgegangen, dass Mutter in der Stadt sein wird, um … um ihr Urteil über die Dinge abzugeben.«
»Ja, deine Mutter hat irgendwas in diese Richtung geäußert«, erwiderte Totty und
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