Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
ganz wunderbar.
Nur morgens nicht.
»Gutes Kind, wie kannst du am frühen Morgen nur so wach sein? Nein, Leighton, keinen Toast. Nur Tee und einen Tomatensaft, wenn Sie so gütig wären.« Mrs. Tottendale nahm Phillippa gegenüber Platz und zuckte sichtbar, als sie ihr einen Blick zuwarf. »Kind, kannst du nicht etwas mit deinem Haar machen?«
»Mit meinem Haar?« Phillippa hob die Stimme und die Augenbrauen.
»Es glänzt viel zu sehr. Der Glanz tut mir in den Augen weh. Oh, vielen Dank, Leighton.« Kaum waren die verlangten Flüssigkeiten serviert, wurde Leighton – ein Mann von so erhabenem Geist und so erhabener Moral, dass er die Nase immer im Fünfundvierzig-Grad-Winkel nach oben reckte – mittels eines einzigen kleinen Blickes gezwungen, das Tablett von der Anrichte an Mrs. Tottendales Ellbogen abzustellen. Das war zur festen Gewohnheit geworden.
Nachdem Mrs. Tottendale ihre Karaffe gewählt und sich eine äußerst großzügige Menge eines geistigen Getränks in den Tomatensaft gegossen hatte, ignorierte sie ihren morgendlichen Zustand und wandte sich an ihre junge Gastgeberin.
»Du erwähntest irgendwas mit Beweisen?«
»Nun, ich … «
»Und wohin bist du gestern Abend verschwunden? Ich war schon halb auf dem Weg zur Kartenparty bei den Norriches, als ich bemerkt habe, dass du nicht bei mir bist.«
»Ich hatte Kopfschmerzen und beschloss, den Abend nach den Fieldstones zu beenden. Ich bin gegangen.«
»Von den Fieldstones! Und so früh! Also noch nicht mal Lady Draye?«
Phillippa schüttelte den Kopf und war einmal mehr dankbar, dass sie keine Anstandsdame um sich hatte. Vor ihrer Heirat hätte Phillippas Mutter der Schlag getroffen, wenn ihre Tochter eine Party so früh verlassen und dabei noch ihr Kleid mit Staub ruiniert hätte. Aber jetzt war ihre Mutter irgendwo mit einem spanischen Grafen unterwegs, und Phillippa hatte ihre Fehler selbst zu verantworten.
Ja, und Phillippa war eher dankbar als undankbar für die Freiheiten, die sie genoss. Denn jedes Mal, wenn sie die Unterstützung anderer Menschen oder die Weisheit der Älteren willkommen geheißen hätte, wären ein Dutzend andere aufgetaucht, die behaupteten, dass die Weisheiten, die Mütter oder Anstandsdamen schmiedeten, sie in ihrer Freiheit sehr einschränken würden.
Es gefiel ihr, dass sie tun und lassen konnte, was sie wollte; ganz gleich, wie einsam es dabei um sie wurde.
Aber ich bin doch gar nicht allein, dachte sie und schüttelte die unsinnige Vorstellung ab. Schließlich hatte sie Freundinnen, die ihr Gesellschaft leisteten, wie zum Beispiel Nora. Sie hatte Rivalinnen, wie zum Beispiel Lady Jane Cummings, die sie beschäftigt hielten. Und sie hatte Bitsy, der sich vollkommen auf sie verließ – außer natürlich in den Zeiten, in denen Bitsy selbst beschäftigt war, etwa wenn sein Lakai ihn ausführte – und sie hatte Totty, die Phillippa in den Arm kniff, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Tisch zu lenken.
»Autsch! Totty!« Phillippa schreckte zurück und rieb sich den Arm.
»Dann hör auf zu grübeln, solange ich mit dir spreche. Wer hat dir das eigentlich erlaubt? Ich habe dir gerade ausführlich berichtet, was es mit dem Aufruhr bei Lady Draye auf sich hatte!«
»Ach so, was ist denn bei Lady Draye passiert?«
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass du nicht dort warst! Es war wahnsinnig. Dieser Marquis, auf den du ein Auge geworfen hast, er hat seinen Tanz mit Lady Jane an Mr. Worth weitergegeben! Stattdessen ist er mit deiner Freundin Nora übers Parkett gewirbelt.«
Beinahe hätte Phillippa ihren Tee ausgespuckt. »Marcus Worth! Wie ist der denn zu Lady Draye gelangt?«
Totty blickte ihren Schützling erstaunt an. »Mit der Kutsche, würde ich sagen. Vermutlich so wie wir anderen auch.«
»Ja … natürlich«, erwiderte Phillippa kühl und tupfte sich zart die Mundwinkel ab, obwohl ihr die Gedanken wie verrückt durch den Kopf schwirrten: Wie hatte es dem verstaubten Marcus Worth gelingen können, seine äußere Erscheinung so weit in Ordnung zu bringen, dass er anschließend zur Party bei den Drayes gehen konnte – nachdem er mit ihr in einem Sarkophag eingeschlossen gewesen war? Vielleicht war er wirklich ein Spion. Die Fähigkeit zu solch schnellen Wechseln brachte ihm garantiert einen Pluspunkt in der Akte ein.
»Nun … wie hat Lady Jane es aufgenommen, dass sie in der Gunst so tief gesunken ist?«
»Hm«, erwiderte Totty und trank einen Schluck Tee, »wenn man Lady Jane so beobachtet,
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