Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
die sich ihr Monokel vor das Auge geklemmt hatte und auf eine Glaskiste linste, die auf einem glatt polierten Tisch stand. Whitford, Phillippa und Marcus schlossen sich ihr an. »Ja, welche Geschichte erzählen sie?«, fragte sie Whitford, dessen Augen aufleuchteten, als ihm klar wurde, worauf sie schaute: auf ein Paar silberne Pistolen, wunderschön verziert, die in einem Bett aus reich gefärbtem Samt lagen.
»Ah«, rief Lord Whitford aus und öffnete vorsichtig den Deckel der Glaskiste, »die habe ich letztes Jahr von einem Händler gekauft, der bei seinem Grabe schwört, dass die Geschichte wahr ist, die ich Ihnen jetzt erzähle. Diese Pistolen … eine wundervolle Arbeit, wenn ich sie doch nur selbst entworfen hätte … waren das Eigentum von niemand anderem als von Blue Raven.«
Plötzlich senkte sich Stille auf die Galerie. Die herumschlendernden Paare gesellten sich zu Lord Whitford. Phillippa verharrte vollkommen reglos, ihre Hand ruhte noch immer auf Marcus’ Arm; der gab sein Bestes, ruhig weiterzuatmen und mildes Interesse zu zeigen.
Aufgrund der unbekannten Anzahl bereits geleerter Gläser bemerkte Totty nicht, dass die Atmosphäre sich verändert hatte.
»Blue Raven? Der Spion? Ich dachte immer, den hätte sich die Times ausgedacht. Damit die Berichte über den Krieg sich besser lesen.«
»Das dachte ich auch«, flüsterte Mrs. Frederick ihrer Tochter zu, die entsetzt nach Luft schnappte.
»Mutter, natürlich gibt es ihn! Oh, er ist so heldenhaft , so attraktiv … «
»Aha, Sie wissen also, dass er attraktiv ist?«, ertönte Mr. Cuthberts Stimme links von ihr, »haben Sie Blue Raven etwa mit eigenen Augen gesehen?«
»Nun, das nicht … «, musste Miss Frederick eingestehen, während alle anderen in der mittlerweile recht großen Gruppe flüsternd ihre Meinungen über Blue Raven kundgaben, über sein Aussehen, über seine Tollkühnheit.
»Mir ist zu Ohren gekommen, dass er als Wellingtons geheimer Leibwächter arbeitet … «
»Er ist umwerfend, hat blonde Haare und Augen, mit denen er anderen Menschen auf den Grund ihrer Seele blicken kann!«
»Aber er ist doch gestorben, oder?«
»Ein Colonel hat mir erzählt, dass Blue Raven auf Sankt Helena stationiert ist, um sicherzustellen, dass Napoleon nicht noch mal flüchtet … «
Die ganze Zeit über konnte Marcus nicht mehr tun, als nur die Brauen zusammenzukneifen und Phillippa einen verstohlenen Blick zuzuwerfen. Offenkundig hatte sie einen kleinen Schmutzfleck auf ihrem Kleid ausgemacht, der plötzlich sehr interessant geworden war, während sie sich angestrengt mühte, die Schultern nicht vor Gelächter erbeben zu lassen.
»Sag doch, Mutter«, hakte Miss Frederick klug nach, »wenn es ihn gar nicht gibt, woher kommen dann die Pistolen?«
Alle Augen wandten sich Lord Whitford zu, der sich erwartungsvoll räusperte und es offensichtlich genoss, endlich seine Geschichte zum Besten geben zu können.
»Die Legende will es«, fing er an, denn es schien, als sei Blue Raven längst über Gerüchte hinausgewachsen, »dass diese Pistolen ursprünglich einem französischen Aristokraten gehört haben, der nicht die Flucht ergriff, als die Guillotine bei seinen Landsleuten beliebt wurde. Er war überzeugt, dass ihm kein Leid zugefügt werden würde. Als das Leid dann aber doch über ihn kam, versteckte er seine jüngeren Kinder bei einem Bäcker in der Stadt … mit nichts als nur diesen Pistolen zu ihrer Verteidigung. Und falls nötig, sollten sie die Waffen für Lebensmittel verkaufen. Der älteste Sohn weigerte sich, die Pistolen zu verkaufen, und als Napoleon an die Macht kam, hat er die Waffen eingesetzt, um der französischen Sache zu dienen. Die meiste Zeit seines Lebens hat er in irgendwelchen Verstecken verbracht, und schließlich machte er das, was er in dieser Zeit gelernt hatte, zu seinem Metier. Das Metier des Tarnens und Täuschens. Sein Name lautete … «
»Laurent!«, kreischte Miss Frederick auf. Offenbar war die Geschichte so aufregend, dass es ihr nicht gelang, sich zu zügeln.
»Ja«, stimmte Whitford zu, warf ihr aber einen warnenden Blick zu, damit sie ihn nicht ständig unterbrach. »Es war der Comte de Laurent, aufgewachsen bei einem Bäcker, wie die Zeitungen berichteten, und daher der Sache der Bauern verbunden. Aber ihm war durchaus bewusst, dass er zum Adel gehörte, und fühlte sich deshalb weit über alle anderen erhaben. Er war ein Gauner, verschlagen, blutrünstig und gemein.«
Einige Ladys schauderten, aber
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