Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
heranstürmende Person sie tiefer in Marcus’ schützende Arme warf. Aber er hielt sie fest, legte dann die Hände auf ihre Schultern und zog sie sanft zurück.
»Ich werde nicht … Phillippa, lassen Sie Broughton Ihren Helden sein.« Mit diesen Worten ließ Marcus sie los und drehte sich der menschlichen Flutwelle zu. Er spürte ihren eindringlichen Blick in seinem Rücken, als er sich den Weg ins Haus zurückkämpfte.
Phillippa starrte Marcus immer noch nach, als der schon längst aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Die Schönen und Reichen fluteten um sie herum, und mehr als nur einer drohte, sie aus dem Weg und in den zertrampelten Matsch zu stoßen, der einst der vordere Garten der Whitfords gewesen war. Mrs. Croyton hätte es beinahe sogar geschafft, schlug den Ellbogen stattdessen aber in Mr. Crawleys Magen, so entschlossen war sie, ihre drei kostbaren Töchter in die Sicherheit der Kutschen zu verfrachten. Phillippa hätte mit dem Erdboden Bekanntschaft geschlossen, wenn nicht die Anwesenheit von Totty und Broughton sie gerettet hätte.
»Weiter!«, stieß Totty aus und schubste Mrs. Croyton mit dem Ellbogen aus dem Weg, während Broughton Phillippa an seine Seite zog.
»Mrs. Benning, ist alles in Ordnung?«, erkundigte er sich besorgt.
»Phillippa, Mrs. Croyton hätte dich umbringen können!«, rief Totty scharf und vorwurfsvoll.
»Totty, geht es dir gut? Wo steckt Nora?«, wollte Phillippa besorgt wissen.
»Keine Angst, Miss de Regis ist bei ihrer Mutter«, antwortete Broughton.
»Und Lady de Regis war die Erste, die zur Tür hinausgerannt ist«, knurrte Totty missbilligend.
»Ich habe Mrs. Tottendale aufgelesen, als sie den Ballsaal nach Ihnen abgesucht hat«, fing Broughton an, als er rüde in den Rücken gestoßen wurde, damit er den Weg freimachte. »Mrs. Benning, wir sollten wirklich aufbrechen. Zu meiner Kutsche geht es hier entlang.«
Phillippa konnte der Flut nicht länger Widerstand leisten. Mit einem letzten Blick auf die Türen des Herrenhauses gestattete sie Broughton, sie und Totty durch die Menge zur Kutsche zu begleiten und ihnen hineinzuhelfen.
Wie der Blitz bewegte Marcus sich durch die Korridore, die sich nach der Flucht der Gäste in vollkommener Unordnung befanden. Er bahnte sich den Weg zurück in den Ballsaal und in die Galerie, wo ein ruhiger und gelassener Lord Whitford weniger als eine Stunde zuvor stolz seine Waffensammlung präsentiert hatte. Marcus fand den Kasten, in dem sich Whitfords jüngste Errungenschaft befand.
Befunden hatte.
Schlagartig war Marcus alles klar. Denn genau das hatte er befürchtet. Es war der Beweis, der noch gefehlt hatte.
Laurent war am Leben.
Denn die Pistolen mit den verzierten Silbergriffen, die Blue Raven gehört hatten, waren verschwunden.
15
In den frühen Morgenstunden saß Phillippa vor dem Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte, und wartete. Dabei lauschte sie ärgerlich auf das Ticken der Uhr.
Er hatte sie ohne ein Wort des Abschieds dort stehen lassen und war zurück ins Haus gelaufen. Und jetzt hatte sie das beunruhigende Gefühl, sich tatsächlich Sorgen um den Mann zu machen; und zwar so sehr, dass es sie um ihren Schönheitsschlaf gebracht hatte, der ihr überaus wichtig war. Stattdessen saß sieim Wohnzimmer und wartete darauf, dass es entweder an derTür klopfte und er vorbeikam oder dass die Sonne aufging.
Er würde doch vorbeikommen, nicht wahr? Nein, er würde es nicht fertigbringen, sie in diesem schrecklichen, verwirrten Zustand zurückzulassen. Oh, morgen würde sie entsetzlich aussehen. Selbst wenn sie bis in den Nachmittag hinein schlief, würde sie Ringe unter den Augen haben und höchstwahrscheinlich auch eine kleine Falte, genau dort, wo ihre Brauen aneinanderstießen. Und falls sie tatsächlich eine solche Falte entdeckte, würde sie ihn zur Rede stellen müssen, und wenn er danach immer noch bei guter Gesundheit war, blieb ihr nichts anderes, als ihm den Hals umzudrehen.
Phillippa war das Herumsitzen leid. Sie stand auf und ging im Zimmer hin und her. Zerstreut betrachtete sie dabei das Muster des kostbaren Aubusson-Teppichs unter ihren Füßen.
Sie liebte diesen Teppich. Sie liebte ihren Kamin aus pinkfarbenem Marmor. Sie liebte sogar diese verdammte Rosenholz-Uhr auf dem Kaminsims, deren Ticken von den Wänden mit der Rosenmustertapete widerhallte.
Sie liebte ihr Haus. Selten nur verbrachte sie den ganzen Tag in den eigenen vier Wänden; aber wenn sie es tat, dann war es so, als hätte sie einen
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