Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
betrifft«, fuhr sie fort, »die kann offenbar auch mit Leichtigkeit über die Bedrängnis hinwegschlafen, in der sich ihre Herrin befindet.«
»Gut«, sagte er und ließ sich dann auf ein zierliches Chintz-Sofa am Kamin fallen.
Er ist müde, dachte sie, und besorgt. Erschöpft bis ins Mark. Dabei war es erst vier Uhr in der Frühe; oftmals kam sie erst um diese Uhrzeit nach Hause. Aber die Aufregung des Abends und die späte Stunde hatten offenbar zu einer Erschöpfung geführt, die Marcus veranlasste, die übliche Maske der guten Laune fallen zu lassen. Sein Blick verlor sich im Feuer, als das Licht über sein Gesicht und die kleinen Falten in seinen Augenwinkeln spielte.
Sie würde sich eher das Leben nehmen als zuzulassen, dass solche Falten sich so unverhohlen auch auf ihrem Gesicht zeigten. Aber Phillippa musste auch zugeben, dass diese kleinen Fältchen Marcus Worth selbst im Zustand der Erschöpfung noch ziemlich gut aussehen ließen.
»Was war los?«, fragte Phillippa leise und ließ sich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder.
Marcus Worth sah sie an, seufzte und beschloss, ihr seine Geschichte zu erzählen.
»Die Pistolen waren verschwunden.«
Einen Moment lang schaute sie ihn verständnislos an. »Die Pistolen«, erinnerte sie sich endlich, »die aus der Galerie? Die Pistolen von Blue Raven?«
»Eigentlich haben sie zuerst Laurent gehört. Ich muss wohl eingestehen, dass er ein gewisses Recht auf sie hat«, erklärte Marcus schulterzuckend. Sein Sinn für Ironie schimmerte trotz seiner Erschöpfung wieder durch. »Er soll mit einer der Waffen erschossen worden sein. Die Frage des Besitzes ist also strittig.«
»Die Legende von Lord Whitford erzählt also die Wahrheit?«
»Mehr oder weniger«, bestätigte er, »aber Whitford hat sich offenbar eingeredet, dass es sich so ereignet hat. Denn sonst hätte er viel zu viel für die beiden Pistolen bezahlt.«
»Marcus, bitte«, sagte Phillippa mit einem Anflug von Sorge, »bleiben Sie ernst. Es geht hier nicht um die Waffen. Was ist danach passiert?«
»Nachdem ich entdeckt hatte, dass die Pistolen fehlen, habe ich Lord Whitford meine Dienste angeboten. Damit wieder Ordnung im Haus herrscht.«
Tatsächlich hatte er den immer noch raufenden Lord Whitford von der puddingverschmierten Kreatur herunterziehen müssen, die sich als Küchenchef Marcel erwies, und anschließend den Konstabler gerufen. Lady Whitford wurde hysterisch schluchzend in einer Ecke des Ballsaals aufgefunden. Sie war mit den Trümmern des missglückten Banketts bedeckt und redete mit sich selbst. Marcus verstand nur ein paar Worte, am häufigsten kamen »ruiniert« und »Lachnummer« vor. Kaum war der Konstabler eingetroffen, wurde Lady Whitford in ihre Zimmer geführt. Ihre getreue Zofe hätschelte und umsorgte sie wie eine Glucke, während Marcel von dem einigermaßen ruhigen Lord Whitford und den Schutzpolizisten verhört wurde.
Es sollte sich zeigen, dass Lord Whitford kaum in der Lage war, Fragen zu stellen. Daher überließ er die Hauptlast des Gesprächs bemerkenswerterweise Mr. Marcus Worth – und falls er Mr. Worths Anwesenheit seltsam und dessen Manieren für einen jüngeren Sohn und Ministeriumsangestellten (war ihm nicht zu Ohren gekommen, dass er diesen Posten gar nicht mehr bekleidete?) für zu autoritär hielt, verlor er kein Wort darüber. Es war viel zu nützlich, einen solch vernünftigen Mann dabeizuhaben.
Es schien, als wäre Marcel überrascht, die toten, übel zugerichteten Schwarzdrosseln in der Pastete zu entdecken – wie alle anderen auch. »Ich habe keine Ahnung, wie das geschehen konnte«, stammelte er, »fünfzehn Minuten, bevor die Kruste angeschnitten worden ist, hab ich die Täubchen in die Pastete gesetzt. Mein Sous-Chef und der Pastetenchef haben mir assistiert. Jemand muss die Pasteten vertauscht haben!«
»Zwei identische Pasteten mit einem Durchmesser von eins achtzig?«, schnaubte Whitford und durchbohrte den verräterischen Franzosen, dem er den Zutritt zu seiner Küche gestattet hatte, mit verächtlichen Blicken. »Nicht sehr wahrscheinlich, Sie … Sie … Sie Franzmann, Sie!«
»Lord Whitford, bitte!«, mischte Marcus sich beruhigend ein und deutete auf den Konstabler, der gelassen abseits stand und jedes Wort notierte, das gesprochen wurde, vermutlich um seine Notizen schließlich an die Times zu verkaufen. Lord Whitford hielt seine Zunge im Zaum, und Marcus fuhr fort.
»Sie glauben also, dass die Pastete vertauscht worden ist«, fing
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