Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
über Blue Raven der Wahrheit entsprechen, Mrs. Benning.« An der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Ich wusste, dass Sie wach sind und sich hier aufhalten, weil ich die Kerzen von draußen brennen sehen konnte. Und ich kann garantieren, dass ich niemals in Ihr Haus eingedrungen wäre, wenn ich nicht die Kerzen gesehen hätte. Wahrscheinlich hätte ich … «, mit der Hand auf dem Türknauf hielt er inne, »… Ihnen am Vormittag eine Nachricht zukommen lassen.«
»Oh«, hauchte sie und trat einen Schritt näher. »In ein oder zwei Tagen sollten Sie mir Ihre Aufwartung machen. Lady Hampshire macht ihre Besuche immer mittwochs. Wenn Sie dann auch hier sind, könnte es helfen, für Sie noch eine Einladung für das Pferderennen und die Party zu bekommen.«
Er nickte und öffnete die Tür, aber sie hielt ihn erneut zurück.
»Noch eine letzte Frage, Mr. Worth … Marcus«, sagte sie mit einer Stimme, die zwar kräftig, aber auch ein wenig zögernd und zittrig klang. »Wenn Sie mir ebenso gut am Vormittag eine Nachricht hätten schicken können, warum sind Sie dann mitten in der Nacht zu mir gekommen?«
Marcus drehte sich um und ging zu ihr, bis er so nah vor ihr stand, dass sie miteinander hätten tanzen können.
»Ebenso gut könnte ich Sie fragen, warum Sie noch wach am Feuer gesessen haben.« Für den Bruchteil einer Sekunde ließ er sich gehen, hob die Hand an ihr Haar und schob ihr die störrische Locke hinter das Ohr.
Seine Finger fühlten sich elektrisierend an, als sie über ihr Haar hinunter in den Nacken glitten. Bis zum Rückenausschnitt ihres Nachtgewands, ihres Morgenrocks – ein bemerkenswert bescheidenes Gewand für jemanden, der sich stets so elegant kleidete wie Phillippa Benning. Dicke, warme Baumwolle hüllte sie von den Schultern bis zu den Füßen ein und ließ sie unschuldig und irgendwie kindlich wirken – wenn man von den Kurven absah, die sich darunter abzeichneten.
Und der Blick aus ihren weit aufgerissenen Augen ruhte unablässig auf seinem Gesicht, als er die Hand fortzog, zur Tür hinausschlüpfte und von der Dunkelheit der Halle verschluckt wurde.
Als der Mittwoch endlich gekommen war, war Phillippa das reinste Nervenbündel. Wegen des geplanten Balls hatte sie ein halbes Dutzend Termine absolviert – von der Anhörung neuer Musiker (obwohl sie auch überlegt hatte, das Orchester vom letzten Jahr anzuheuern, einfach nur, um ihre Mutter zu ärgern, hatte sich dann aber gesagt, dass das Orchester wirklich nicht das Gelbe vom Ei gewesen war) bis zum Treffen mit den Leuten, die einen Irrgarten aus Spiegeln in der langen Galerie installieren sollten, durch den alle Gäste zu schreiten gezwungen waren, bevor sie in den Ballsaal gelangten.
Und natürlich hatte sie mit Totty an zwei Mittagessen teilnehmen müssen sowie an einer botanischen Ausstellung, die von Lady Hertford, der aktuellen Geliebten des Prinzregenten, präsentiert wurde, und hatte sich bei Teegebäck und Brunnenkresse-Sandwiches höflich über den Verlauf der letzten Tage ausgelassen, über die unzähligen Bälle und abendlichen Dinnerpartys.
Und alles das – wirklich alles – , ohne ein einziges Wort von Marcus Worth zu hörn.
Ihr war klar, dass sie sich darüber nicht den Kopf zerbrechen sollte. In jener Nacht war er ja sogar zu ihr nach Hause gekommen, um ihre Sorgen zu zerstreuen. Aber dann hatte sie den Fehler gemacht, die Zeitung zu lesen, und hatte zwischen den Artikeln über die Schwäche des französischen Franc und dem fortgesetzten Getöse des Pöbels über die englische Belagerung von Paris ein deftiges Stück Klatsch gefunden.
Es scheint, als seien die Franzosen, die verbannt an unseren Küsten wohnen, mit unserer Gastfreundschaft mehr und mehr unzufrieden. Bedenken Sie zum Beispiel das katastrophale Bankett der W*** in der jüngsten Vergangenheit, das mehr als nur die Rache eines französischen Küchenchefs an seinem englischen Herrn bedeutete. Der Berichterstatter hat erfahren, dass Lord und Lady W*** in jener Nacht mehr als nur ihr Stolz geraubt worden ist. Zwei Pistolen, die vermutlich dem berüchtigten Spion Blue Raven gehörten, wurden zusammen mit anderen wertvollen Gegenständen aus dem persönlichen Besitz von Lord W*** von ihrem Ehrenplatz entwendet. Dem Berichterstatter ist zu Ohren gekommen, dass dieses Vorkommnis nur eine Ruchlosigkeit gewesen sein soll, um die fraglichen Objekte dem englischen Stolz und der französischen Schande zu entreißen. Kann das wirklich sein? Und man muss
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