Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
auch fragen, wo Blue Raven zurzeit steckt, jetzt da seine Pistolen fort sind? Gerüchteweise war zu hören, dass er auf der Suche nach Antworten in den niederen Schichten dieser schönen Stadt auf Patrouille geht und dass die Feder eines Raben der einzige Beweis ist, den er zurückgelassen hat.
Phillippa war wütend. Wie konnte es sein, dass ein solches Geschwätz es bis in die Zeitungen schaffte? Aber dann lachte sie über sich selbst, denn die Antwort lag auf der Hand. Geschwätz schaffte es immer bis in die Zeitungen. Sie selbst war doch Gegenstand unzähliger Artikel gewesen, die würdigend oder schmeichlerisch oder auch einfach nur falsch sein konnten. Aber während es sich dabei um wilde Spekulationen handelte, waren die Fakten, die der Reporter berichtete, mehr oder weniger zutreffend, was Phillippas Blut nur noch mehr in Wallung brachte.
Und heute war Mittwoch. Der Tag, den Phillippa zu Hause verbrachte, an dem sie Besuche empfing, anstatt selbst welche zu machen. Und an diesem Vormittag gingen die Besucher, die sie zu empfangen hatte, in die Dutzende.
Was, wie sie sich sagte, nicht außergewöhnlich war.
In ihrem pinkfarbenen Salon wurde sie von ihren Besucherinnen umringt; es war jener Salon, in dem Marcus Worth sie vor ein paar Nächten beinahe zu Tode erschreckt hatte. An ihrer linken Seite plauderte Nora zusammen mit ihrer Mutter liebenswürdig mit Lady Hampshire, während Totty über das Tablett mit dem Tee wachte und ihre ganz spezielle Teekanne dabei nicht aus den Augen ließ. Ein halbes Dutzend anderer Gäste bewunderte die verschiedenen Bouquets, die an diesem Vormittag geschickt worden waren. Zwei ihrer bevorzugten Gentlemen, Freddie Hawkes und Sir Reginald Ridgeway, die mehr daran interessiert waren, einander zu beeindrucken als Phillippa, saßen am anderen Ende der Couch, auf der auch Mrs. Dunningham neben Louisa Dunningham und Penny Sterling Platz genommen hatte.
Aber es waren nicht diese Menschen, die sie zu sehen wünschte.
Penny Sterling erwies sich als entzückend, wenn auch als ein wenig naiv. Aber vielleicht war das eine ohne das andere nicht zu haben. Sie war ein angenehmes Ding voll jugendlicher Frische, das ganz und gar in Rosa erstrahlte, wobei nur ihr Haar ausgenommen war, dessen Dunkelbraun zwar nicht außergewöhnlich, das aber so üppig war, dass es auch modisch frisiert werden konnte. Sie trug auch heute ein Kleid, dessen Farbe ihr nicht gut zu Gesicht stand; die Person, die für die Auswahl zuständig war, besaß offenbar kein modisches Auge. Phillippa beschloss, mit Pennys Mutter ein Wort zu reden, erfuhr dann aber von der ehrfürchtigen Mrs. Dunningham, dass Lady Sterling mit der Luft in London solche Schwierigkeit hatte, dass sie sich gezwungen gesehen hatte, auf Pennys gesellschaftliches Debüt zugunsten eines Aufenthalts an der Küste zu verzichten.
»Es wäre schwer, in dieser Zeit ohne deine Mutter auszukommen, nicht wahr, Liebes?« Mrs. Dunningham tätschelte ihrer Tochter die Hand. Louisa hingegen sah aus, als wäre ihr nichts lieber, als ohne ihre besitzergreifende, stichelnde Mutter zu sein, nickte aber unablässig. Phillippa schaute zu Penny hinüber, deren Miene ein einziges Schlachtfeld widerstreitender Gefühle war. Einerseits empfand sie wahrscheinlich wie Louisa und wollte ihre jungen Flügel ohne die elterliche Überwachung erproben; andererseits war eine Mutter manchmal auch recht praktisch, besonders dann, wenn man es mit Unbekanntem zu tun hatte.
Phillippa konnte mitfühlen.
»Aber«, fuhr Mrs. Dunningham fort, »ihr Vater hält sich immer noch in der Stadt auf. Sie müssen wissen, dass Lord Sterling beim Militär sehr einflussreich ist. Ein Dutzend glänzender Medaillen prangen auf seiner Uniform! Und ich bin mehr als glücklich, die liebe Penny bei Louisa und mir zu haben. Schon seit Louisas Schulzeit ist sie deren beste Freundin.«
Louisa warf Penny einen Blick zu; Penny verdrehte die Augen und schützte ein Lächeln vor, das Phillippa sich verkniff, während sie die beiden beobachtete.
»Und was macht Ihr Vater beim Militär, Penny?«, fragte Phillippa und bemühte sich um einen sachlichen Tonfall. Oh, wenn Marcus doch nur hier sein könnte! Er wüsste ganz genau, wonach er fragen sollte.
»Beim Militär macht er gar nichts. Das heißt, nicht mehr«, antwortete Penny. Ihre Wangen wurden röter als je zuvor. »Er arbeitet für das Parlament. Strategische Planung, hat er gesagt. Was auch immer das ist.«
»Nun, wir Frauen tun gut daran, uns
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