Ein Staatsgeheimnis Am Rhein
wandte sich dem Arzt zu: »Nur die eine Schußverletzung?«
»Ja, Blattschuß.«
»Und das Projektil?«
»Müßte noch drinstecken. Jedenfalls keine Ausschußwunde.«
Freiberg nickte zufrieden. »Wenigstens etwas. Läßt sich die Todeszeit schon bestimmen?«
Dr. Kehlmann zögerte. »Nun, nach der Fleckenbildung und der Totenstarre, soweit man das hier feststellen kann, vielleicht zwischen null und drei Uhr. Verzögerung durch Kälte kann außer Betracht bleiben. Diese Sommernacht war ganz erträglich. Der rechtsmedizinische Befund wird es genauer bringen.«
»Wie alt mag der Mann sein – Mitte Vierzig?«
»Ja, schätze ich auch.«
»Danke für die Hilfe«, sagte Freiberg.
»Keine Ursache. Im Grunde ist das ja kein Fall für den Notarzt. Ich fahre zurück.« Dr. Kehlmann verabschiedete sich mit einem Händedruck.
Freiberg sah sich den Toten genauer an. Der Mann war mittelgroß, hatte volles dunkles Haar und einen auffallend breiten, waagerecht durchlaufenden Haaransatz. Die Augenlider waren geschlossen. Er trug eine graue Tuchhose mit Ledergurt, graue Knöchelsocken, aber keine Schuhe. Das hellblaue Sporthemd war unterhalb der linken Brusttasche durchschossen. Die Hände des Toten wirkten gepflegt, sie sahen nicht nach körperlicher Arbeit aus.
Lupus war zur Seite getreten und sah sich am Pavillon um.
Der Kollege von der Spurensicherung hatte sich einen dünnen Gummihandschuh übergestreift und tippte mit zwei Fingern auf die rechte Brusttasche des blutgetränkten Hemdes. »Da steckt noch etwas drin«, sagte er und knöpfte die Tasche auf. Dann zog er ein flaches, rechteckiges Plastiktütchen im Format von etwa fünf mal sechs Zentimetern heraus.
»Nanu, was haben wir denn da? Das könnte ein Reinigungstuch sein – oder ist da vielleicht Süßstoff drin?« fragte Freiberg.
Der Kollege von der Spurensuche hielt den Fund hoch und drückte ein wenig auf die Ränder. »Ich glaube weder – noch. Eher etwas Flüssiges und drauf steht ›Relax‹ – lax… Laxativum, das scheint ein Abführmittel zu sein.«
»Das muß mir die KTU ganz schnell untersuchen«, sagte Freiberg. »Erstes Ergebnis bitte telefonisch vorab.«
Das Heftchen kam in eine durchsichtige Tüte. Freiberg sah, daß Lupus Richtung Landgrabenweg hinter dem Pavillon verschwand und gab Presse-Mauser einen Wink. Wie der Blitz sprang der vom Kletterschiff herunter. »Hallo, Hauptkommissar Freiberg, wird die vierte Gewalt gebraucht?«
»Grüß’ Sie, Mauser. Na, wieder die richtige Frequenz eingequarzt?«
»Himmel, nein, alles völlig legal. Hinweis aus Leserkreisen.«
»Den Spruch kenne ich. Lassen Sie das nur Lupus nicht hören, der holt die Daumenschrauben!«
Presse-Mauser, wie der quicke Journalist von der Kripo genannt wurde, verstand sein Geschäft. Er kam sofort auf den Punkt: »Wer ist der Tote? Mord oder Selbstmord? Täter? Spuren?«
Freiberg antwortete genauso lakonisch: »Mord, Herzschuß, Täter unbekannt, keine Zeugen, keine Spuren.«
»Wenig genug.«
»So ist es. Holen Sie sich ein paar anständige Aufnahmen in den Kasten.«
In Sekunden hatte Mauser die Spiegelreflex am Auge und das Schiebezoom für den richtigen Ausschnitt justiert. Der Winder zog durch, sst – klick, sst – klick, sst – klick. Das unverkennbare Geräusch schien gar nicht aufzuhören.
»Nun reicht’s«, bremste Freiberg. »Der Kopf muß gut rauskommen. Zusammen mit den Übersichtsaufnahmen vom Schiff aus wird das bestimmt ein starker Aufmacher.«
»Und ob!«
»Mauser, bitte. Der Kopf muß kommen, nicht das blutige Hemd. Ihre Leser können uns vielleicht helfen, den Mann zu identifizieren. Wir bringen vom Präsidium noch offiziell Fotos – aber Ihre sind schneller.«
»…und besser, wollten Sie sagen.«
Lupus kam zurück und zeigte auf Mauser. »Dieser Schwarzhörer läuft hier frei herum.«
»Wußte ich’s doch, Freiberg – der liebt mich«, frotzelte Mauser.
Lupus blieb bissig. »Wenn ich das bloß sehe, mit der Lügenoptik auf dem Kriegspfad. Vom Recht am Bild hältst du wohl gar nichts, wie? Das steht auch Leichen zu!«
»Ich arbeite im vollen Einverständnis mit der Kripo. Die Bestätigung durch deinen Kommissar wird dich glücklich machen«, klärte Mauser seinen Freund auf. Sie kannten sich seit vielen Jahren und hatten schon manches Kölsch miteinander getrunken. Mauser war freier Journalist, hatte einen guten Draht zu den Redaktionen der örtlichen Presse und bediente auch die Nachrichten- und Informationsdienste mit den
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