Ein Staatsgeheimnis Am Rhein
»Weinkeller St. Nikolaus« bot einen gepflegten Service und intime Konferenzräume, die sich vor neugierigen Ohren gut abschirmen ließen. Die Aufwendungen konnten als Betriebsunkosten steuerlich abgesetzt werden. Die Anreise war am Montag erfolgt, so daß die Beteiligten am nächsten Morgen zur Stelle waren. Am Dienstag hatte sich die Versammlung mit rein kaufmännischen Dingen befaßt. Für Mittwoch standen die Punkte Organisation und Verschiedenes auf der Tagesordnung.
Geschäftsführer Werner Baumann, der als letzter den kleinen Konferenzraum betreten hatte, nahm an der Stirnseite des ovalen Tisches Platz und begrüßte seine Mitarbeiter. »Verehrte Dame, meine Herren! Ich danke Ihnen für Ihr pünktliches Erscheinen. Die Nacht war zwar kurz, aber wir haben gestern gute Arbeit geleistet. Ich denke, wir werden am Nachmittag den offiziellen Teil beenden können. Danach nutzen wir dieses Haus und das schöne Ahrtal für eine kurze Entspannung. Am Donnerstag gemeinsames Frühstück, dann Rückreise. Heute erwarten wir noch den Außendienstleiter. Er müßte bald eintreffen.«
Baumann hob die Stimme: »Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. – Bemerkungen dazu?« Er sah kurz auf. »Keine? Danke. Das Ergebnisprotokoll werde ich selbst fertigen und zu den offiziellen Geschäftsakten nehmen. Wir sind hier ungestört und können offen reden. Unsere Spezialisten haben das Umfeld geprüft und gesichert. Eine Tischgemeinschaft von ZII wird ständig im Hause sein. Sollten Sie jemanden erkennen, so kennen Sie ihn bitte nicht! Hier im ›Mühlenhof‹ gilt striktes Kontaktverbot.«
»Gibt es Anzeichen, daß Achsen heißgelaufen sind?« fragte der »Marketingleiter« besorgt. »Schäden im Fuhrpark?«
»Das Sicherheitsbüro, Abteilung I, hat keine zwingenden Erkenntnisse. Chef SB hält jedoch Vorsicht für geboten.«
Der »Redakteur«, wie der salopp gekleidete Spezialist der Firma für Werbung und Presseüberwachung sich gern nennen ließ, sah auf: »Die deutschen Medien halten ziemlich still. Die holen ihre Meldungen erst dann aus der Kiste, wenn die ›Neuen‹ den ›Alten‹ am Zeuge flicken wollen. Auch beim Verfassungsschutz ist es verdächtig ruhig; der MAD hat seine eigenen Probleme.«
»Ist die Sache ›Transfer‹ abgewickelt?« ließ sich der »Oberbuchhalter« vernehmen, durch dessen Hände jährlich hohe Millionenbeträge gingen.
»Ja, nach der Meldung durch die Zweite Verwaltung hat der Kontakt auf dem Petersberg stattgefunden. ZII hat die Übergabe observiert. Die Codemeldung liegt vor«, erläuterte der Vorsitzende. »Der Herr Außendienstleiter scheint nicht viel von Pünktlichkeit zu halten. Er hätte schon heute morgen Bericht erstatten sollen.«
»Die Codemeldung geht in Ordnung«, bestätigte der »Ingenieur«, Leiter der Datenverarbeitung, wie seine Abteilung bei Comport bezeichnet wurde. Hier liefen alle elektronischen Fäden zusammen. Sein Funknetz bildete das Herz des Unternehmens.
Die Gesichter in der »Gesellschafterversammlung« bekundeten Zufriedenheit. Nur der »Ingenieur« murrte: »Diese verdammten Sonderaufträge! Dadurch laufen wir Gefahr, daß unsere Tarnung mit einem Donnerschlag in die Luft fliegen kann. Ich habe den »Chef der Zentrale« gebeten, Sonderkuriere einzusetzen. Wofür haben die denn ihre Reisekader?«
Vorsitzender Baumann pflichtete dem bei. »Unsere Schwachstellen liegen im Vertreternetz. Das ist systembedingt, denn dort müssen ja schließlich die Geschäfte angebahnt werden. In erster Linie sind es nun mal die Außendienstmitarbeiter, die mit den deutschen Geschäftspartnern an einem Tisch sitzen. Wir müssen unserem Außendienst unbedingt den Rücken freihalten, denn wir haben keinediplomatische Abdeckung wie unsere Cocktailtrinker aus der Botschaft.«
»Sehr richtig«, stellte der »Ingenieur« fest. »Der Außendienst muß umstrukturiert und das Personal ausgetauscht werden. Die Gesichter sind langsam zu bekannt. Der Comport-Kern, also die echte Handelsabteilung, wird noch stärker separiert. Die legalen Speditionsgeschäfte müssen absolut sauber laufen, damit uns der operative Stützpunkt erhalten bleibt.«
Die Gesellschafter nickten abermals zustimmend. Was der »Ingenieur« anordnete, hatte ohnehin Gesetzeskraft. Er war als hochrangiger Führungsoffizier der wirkliche Chef des Unternehmens, nicht Baumann. Der durfte mit seinem braven deutschen Namen nur dafür sorgen, daß die Eintragung im Handelsregister einen guten Klang hatte und daß die »Gesellschaft
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