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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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beide wünschten und obwohl jeder vom anderen spürte, daß er es wünschte. Aber Lutz, der sonst vor keinerlei Autorität Respekt hatte, mußte schweigen, wenn Yvonne mit seinem Vater fachsimpelte und sogar von ihm respektiert wurde, und Yvonne wiederum war befangen, weil sie ein Geheimnis vor ihm hüten mußte; ein Geheimnis, dessentwegen, darüber war sie sich nun klargeworden, der Reporter überhaupt auf den Mond gekommen war. Und da sie beide starke, aber feinnervige Menschen dieser Zeit waren, in der sich die äußeren Moralgebote früherer Jahrhunderte, soweit überhaupt sinnvoll, längst zu inneren, seelischen Bewegungsformen gewandelt hatten, schuf dieser Zustand eine ständig wachsende Spannung zwischen ihnen. Und an dem Tage, da mit der gesamten Energiekapazität des Mondes die Radarimpulse ausgesandt wurden, an dem Tage, da Loto Gemba sich auf das Recht des Älteren berief und Yvonne das Du anbot – an diesem Tage folgte Lutz dem Rat seines Vaters und reiste zur Erde zurück, ohne sich zu verabschieden.
     
    Die interkontinentale Verkehrsrakete näherte sich dem Südteil der Rocky Mountains. Nadja Shelesnowa, Chef der Weltsicherheitskommission, rief sich noch einmal ins Gedächtnis, was sie von den Arbeiten und der Hypothese Duncan Holidays, ihres früheren Gatten, wußte. Wenn man den ganzen mathematischen Apparat und die physikalischen Einzelheiten beiseite ließ, lief die Sache auf folgendes hinaus:
    Die erste nukleare Energiequelle, die sich die Menschheit erschloß, war die Kernspaltung einiger schwerer Elemente. Die Zeit von der Entdeckung bis zur industriellen Nutzung war für damalige Verhältnisse kurz. Die nächste, größere Quelle, die erschlossen wurde, war die Fusion von Wasserstoff- oder Deuteriumkernen zu Heliumkernen, bei der sich der Massendefekt in Energie umsetzte – die Energiequelle der Sonne also. Bis zu ihrer Beherrschung und industriellen Nutzung verging noch viel Zeit, und sie war auch heute noch die stärkste, für die Menschheit nutzbare Energiequelle.
    Um wieviel größer aber wäre der Massendefekt – und damit die Energieausbeute pro Kilogramm Brennstoff –, wenn es gelänge, Wasserstoffkerne zu mittleren Elementen zu fusionieren!
    Mit dieser Hyperfusion hatte sich Duncan Holiday von Beginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an beschäftigt. Aber er ging dabei zunächst einen Weg, der unberechenbare Gefahren barg. Deshalb hatte er seinerzeit sein Projekt begraben müssen.
    In der Zwischenzeit hatte er sich dem Problem von einer anderen Seite her genähert, und wenn man in Betracht zog, daß man zur Lösung des kosmischen Problems, ganz gleich, wie die Lösung im einzelnen aussehen mochte, in jedem Falle aber viel Energie brauchen würde, starke Energiequellen, dann war es nicht nur möglich, sondern sogar notwendig, daß er seine Arbeiten wiederaufnahm.
    Er hatte für die ersten Experimente, bei denen kein Risiko bestand und die deshalb auf der Erde stattfinden konnten, eine der Anlagen der Akademie für Grundlagenphysik zur Verfügung gestellt bekommen, ein Laboratorium im Sandboden einer seismisch inaktiven Gegend, ausgerüstet mit Kernkraftwerk, Synchrophasotron und den üblichen dazugehörigen Einrichtungen, zusätzlich eine Funkrichtstrecke zu einem der modernsten Rechenwerke, das ihm und seinen Mitarbeitern pro Tag zwei Stunden zur Verfügung stand. Nun hatte er um Nadja Shelesnowas Besuch gebeten, weil die erste Entscheidung unmittelbar bevorstand.
    Und vielleicht war das nicht die einzige Entscheidung, die in diesen Tagen fallen mußte. In dem Monat, der seit der Entzifferung der kosmischen Botschaft nun schon vergangen war, hatte sich vieles ereignet – aber sie beide, Nadja und Duncan, hatten sich nicht wiedergesehen. Sie waren einander nicht direkt aus dem Weg gegangen, aber sie hatten auch die Gelegenheit zu einer Aussprache nicht gesucht. Würde es heute dazu kommen?
    Duncan hatte zum Empfang für Nadja seinen ganzen Wissenschaftlichen Stab versammelt. Die Art, wie er diesen Stab zusammengetrommelt hatte, war nach allem, was Nadja darüber gehört hatte, charakteristisch für seine sprunghafte, unkonventionelle, manchmal rücksichtslose Denk- und Handlungsweise gewesen: Er hatte zum Beispiel seine frühere Assistentin Frau Irene Me oder, in der Schreibweise ihrer Heimat: Me I-ren, heute selbst Professor, angerufen und sie gefragt: „Sag mal – hast du einen Nachfolger für dein jetziges Amt? Wenn ja, dann schnapp dir deine drei besten Assistenten und

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