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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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nicht. Er wird jetzt nach allen Regeln der Kunst ausgefragt – Spektralanalyse, Röntgenogramm usw. Aber fest steht, daß in ihm eine Hyperfusion vorgegangen ist. Im winzigsten Maßstab natürlich, sonst wäre dieses Institut nicht mehr da, und in New Orleans hätte es die Fensterscheiben zerdroschen. Jetzt brauchen wir noch vier solcher Anlagen, aber modernisiert, und ein eigenes modernes Rechenwerk – fürs erste!“
     
    Die Werft JURI GAGARIN war zum zeitweiligen Wohnsitz geworden für Heinrich Hellrath, der die Zurüstung der Stella-Flottille leitete, und seine Frau Sabine, die die Besatzungen für die andern beiden Raumschiffe zusammenstellte und trainierte. Die Raumschiffwerft war ein großer künstlicher Erdsatellit, der Werkstätten, Unterkunft und sonstige Einrichtungen für mehrere Hundert Monteure enthielt. Die Werft, umgeben von den drei Raumschiffen SIRIUS, ATAIR und WEGA, hatte schon ihren Spitznamen, die Monteure nannten die Gruppe „Juri und seine Kinder“. Zwar wußte niemand genau, wie viele Kinder der Stammvater aller Kosmonauten gehabt hatte, aber dafür sahen die drei Raumschiffe aus größerer Entfernung wirklich aus wie verkleinerte Ausgaben der Werft: die gleiche Radform mit der dicken Nabe in der Mitte, nur daß die „Kinder“ sechs Speichen hatten statt vier. Kam man näher, wurden freilich Unterschiede sichtbar. Die Raumschiffe schwebten scheinbar bewegungslos im Raum, während die Werft rotierte, um die fehlende Gravitation durch die Zentrifugalkraft zu ersetzen. Auch waren die Zentralkörper, die Naben der Räder, anders geformt und armiert, und Speichen und Radkranz waren bei den Raumschiffen schlanker.
    Die Arbeitsweise auf der Werft hätte einen irdischen Monteur vorsintflutlich angemutet. Kräne, Transportanlagen und -fahrzeuge gab es gar nicht, wenn man von Plastseilen und Handhaspeln absehen wollte. Die fehlende Schwerkraft machte sie überflüssig. Aber sie erschwerte andererseits auch die Arbeit: Oft mußten die Monteure wahre Meister der Jonglierkunst sein. Die Tatsache, daß selbst riesige Bauteile kein Gewicht hatten, verführte Neulinge immer wieder dazu, eine andere Eigenschaft ihrer Masse zu unterschätzen: die Trägheit, das Beharrungsvermögen. Eine in gemütlichem Tempo dahinschwebende Wandungsschale zum Beispiel schien sich mit dem kleinen Finger dirigieren zu lassen. Um sie aber frontal zu stoppen, brauchte es die Kraft von zehn Männern, und wenn man noch nicht das nötige „Raumgefühl“ hatte, konnte es Quetschungen und Knochenbrüche geben. Und an eine Automatisierung der Arbeiten war natürlich nicht zu denken bei Stückzahlen von ein oder zwei im Jahr.
    Henners und Sabines Arbeitstage waren zum Bersten gefüllt. In den Wissenschaftlergruppen, die für die Reise zusammengestellt worden waren, gab es zwar keine Raumneulinge, aber eine ganze Reihe hatten noch nicht das M, die Monteurqualifikation, die für alle Astronauten auf großer Reise Bedingung war. Die Besatzungen waren deshalb den Montagegruppen zugeteilt worden, und es hatte anfangs eine ganze Menge Ärger gegeben, bis sich das Hand-in-Hand-Arbeiten herausgebildet hatte, das hier, unter kosmischen Bedingungen, sogar im wörtlichen Sinne notwendig war. Nun lief die Montage reibungslos, aber nun begannen auch die M-Prüfungen vor der Werftleitung. Dabei gab es immer noch einzelne Auswechslungen, die auf das Konto von Sabine kamen; denn sie mußte hier unter den Bedingungen des Arbeitsprozesses die gesundheitliche und psychologische Tauglichkeit überprüfen. Und während Henner etwa einem M-Aspiranten zeigte, wie man den „Spürhund“, das automatische Schweißgerät, noch geschickter ansetzen konnte, damit er ohne anfängliches Schlingern der radioaktiven Spur auf der Plattenkante folgen konnte, prüfte Sabine vielleicht gleichzeitig die Kardio- und Enzephalogramme desselben Kollegen, die während dieser Arbeit aufgenommen und automatisch per Funk übermittelt wurden.
    Höhepunkt und Abschluß der Ausbildung war der sogenannte Abriß-Test, der die ganze Geschicklichkeit, das ganze Raumgefühl der Prüflinge beanspruchte und zugleich die schwerste psychische Belastung darstellte. Der Prüfling mußte seine Sicherungsleine lösen und in den Raum davonschweben, etwa einen Kilometer weit, und obwohl jeder wußte, daß alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen waren, daß Radargeräte wachten und Operativraketen bereitstanden und praktisch nichts passieren konnte, war doch das Gefühl, allein im Raum zu

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